: Franjo Tudjmans Popularität schwindet dahin
Nach dem Fall von Vukovar ist die politische Lage in Kroatien gespannt: Rechtsextremisten drohen mit Putsch, und Präsident Tudjman läßt ihre Führer verhaften/ Bereits eine halbe Million Menschen sind aus kroatischen Dörfern geflohen ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder
Zagreb macht in diesen letzten Novembertagen nicht den Eindruck, als befinde sich die Stadt im Kriegszustand. Hier, wo noch vor einigen Wochen nachts Ausgangssperre herrschte, wo ständige Luftalarme die Menschen in die Luftschutzkeller trieben, scheint das Leben wieder normalisiert. Cafés und Restaurants sind bis in den späten Abend geöffnet, Autos verstopfen in gewohnter Weise die Straßen der Innenstadt, die Menschen gehen ruhig ihren Beschäftigungen nach. Es ist sogar etwas Erleichterung zu spüren, sind doch die Truppen der jugoslawischen Volksarmee aus der Marschall-Tito-Kaserne und den anderen Stationierungsorten in dieser Stadt seit Freitag nach Bosnien abgezogen worden. Und die Diskussion über den Einsatz von Blauhelmen der Vereinten Nationen scheint nicht nur mehr Gerede zu sein.
Doch es ist immer noch Krieg. Und er ist der Stadt in vielfältiger Weise nähergerückt. In den Foyers der Hotels trifft man überall auf Gruppen von Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten, Frauen und Kinder aus Vukovar und Osijek. Über 550.000 Menschen, unter ihnen auch 87.000 Serben, sind nach neuesten Angaben der Regierung in Zagreb aus ihren kroatischen Heimatorten geflohen. In den Krankenhäusern werden die Verwundeten versorgt, Fahrzeuge mit Menschen und Versorgungsgütern fahren zur Front. Zwar liegt die Stadt selbst nicht unter Beschuß der Artillerie wie Osijek, wo am Samstag inoffiziellen Angaben zufolge wieder zehn Zivilisten getötet wurden, und Dubrovnik, das zudem weiterhin von der Außenwelt abgeriegelt ist. Zwar ist hier in Zagreb immer noch nicht die Generalmobilmachung ausgerufen, doch sind die kampffähigen Männer nun registriert und dürfen das Land nur mit Ausnahmebestätigung verlassen. Jeder hat nun eine persönliche Entscheidung zu treffen, die für die allermeisten noch vor wenigen Monaten undenkbar erschien. „Damals hätte ich mir die Frage niemals gestellt, ob ich eine Waffe in die Hand nehmen würde oder nicht. Ich bin ein friedlicher Mensch und habe immer mit der Friedensbewegung sympathisiert“, entschuldigt sich ein stadtbekannter Schriftsteller und Dramaturg. Es ist in der Tat schwer, sich den feingliedrigen Mann mit einer Waffe in der Hand vorzustellen. „Doch sie kommen näher. Wir, und das sage ich nicht mehr mit Vorbehalten, ich habe mich ja nie als kroatischer Patriot gefühlt, müssen uns verteidigen. Stell dir vor, der Krieg hat mich zum Kroaten gemacht.“ So hat er sich nun freiwillig für die Zivilverteidigung gemeldet. Dort braucht er immerhin keine Waffe zu tragen.
Noch sind es zumeist grobe Gestalten aus der Provinz, die mit ihren Kampfanzügen und ihren Maschinenpistolen, mit den lässig angelegten Patronengurten dem Feind im Krieg direkt entgegentreten. Viele junge Männer sind auf Fronturlaub: Etwas angetrunken suchen sie nach billigen Vergnügungen. Früher hätten die Hauptstädter solche Männer mit abschätzigen Blicken bedacht. Die Bilder von Vukovar, der unbedingte Überlebenswille der Bevölkerung, der heldenhafte Kampf der wenigen gegen die übergroße Kriegsmaschinerie aber haben nun Achtung für die früher wenig geschätzten Provinzler erzeugt. Vielleicht, wahrscheinlich sogar, markiert die Niederlage in Vukovar einen geschichtlich bedeutsamen Punkt.
Die Wende von Vukovar
Beunruhigende Fragen tauchen auf. Hätte die Niederlage vermieden werden können? Warum gelangten manche Waffen und Verstärkungen nicht in die geschundene Stadt? Haben die Regierung und Präsident Tudjman die Verteidiger gar hängenlassen? Auf einen toten Kroaten kämen mindestens drei tote Soldaten des Feindes, trösten sich viele über die Niederlage hinweg, „so tapfer haben die gekämpft“. Die Desorganisation sei schuld, sagen andere. Der Krieg müsse endlich offensiv geführt werden, es nützte nichts, sich von einem Waffenstillstand zum anderen zu hangeln. Kroatien mache sich mit dieser Politik nur lächerlich. Und Mile Dedakovic, der Kommandeur Vukovars, griff die Regierung und Tudjman scharf wegen der mangelnden Unterstützung der Eingeschlossenen in Vukovar an. Tudjman konterte, indem er Dedakovic am 20.November festnehmen ließ und ihm vorwarf, zusammen mit dem Chef der Partei des Rechts und deren Truppen (HOS) sowohl Sabotage wie auch eine gegen die kroatischen Interessen gerichtete Politik zu betreiben. Am Samstag nun hat der Staatsanwalt gegen den „Napoleon von Vukovar“ Anklage wegen Veruntreuung von umgerechnet 1,4 Millionen Mark erhoben.
Gegenüber dem Hotel Esplanade ist der Hauptsitz der „Partei des Rechts“. Hier residieren die Extremisten, die Ultranationalisten des Dobrislav Paraga, der Tudjman undemokratischer Praktiken und des Versagens vor dem Feind geziehen hatte. Am 22. November umstellten 30 bewaffnete Polizisten das Auto, in dem er und sein Parteivize Milan Vukovic saßen. Paraga wurde verhaftet, Vukovic einen Tag lang festgenommen. Seither ist Tudjman für Paragas Anhänger ohne jeden Zweifel ein Verräter, der so schnell wie möglich gestürzt werden muß. In den schwarzen Uniformen der Ustascha, aber auch den normalen Uniformen der kroatischen Kampfverbände wachen sie schwerbewaffnet vor ihrem Hauptquartier. Hagere und junge Gestalten, auch einige Frauen, entschlossene Gesichter, Physignomien von rechten Radikalen. An den Wänden hängen die Todesanzeigen der Gefallenen. Die Jahrgänge 73/74 überwiegen. Die HOS, die Freiwilligenarmee der „Partei des Rechts“, verfüge über eine Truppe von 3.000 Mann, und Tausende strömten der Miliz gerade jetzt erst zu, sagt Vukovic, ein knapp dreißigjähriger Yuppietyp, Kind kroatischer Emigranten in Kanada. Etwa hundert Ausländer seien darunter, aus allen möglichen Nationen, Österreicher und Deutsche, Franzosen, Belgier, Engländer und andere.
Warum Paraga und Dedakovic verhaftet wurden? Für Vukuvic ist das klar: „Tudjman merkt, daß ihm die Mitglieder und Wähler davonlaufen. Viele kommen zu uns, weil wir kompromißlos kämpfen.“ Es werde große Demonstrationen für die Freilassung Paragas geben. Doch als am Mittwoch letzter Woche sich gerade einige hundert Sympathisanten vor dem Tor versammelten, um gegen die Verhaftung ihres Führers zu protestieren, wurden die Machtverhältnisse zurechtgerückt. HOS-Kämpfer sicherten zwar schwerbewaffnet die umliegenden Straßen, und kroatische Miliz zog auf. Über eine halbe Stunde standen sich die gegnerischen Einheiten mit dem Finger am Abzug gegenüber. Doch die HOS-Führung mußte einsehen, daß sie sich einen Bürgerkrieg im Krieg nicht leisten kann.
„Paraga ist ein bezahlter Agent des serbischen Geheimdienstes“, wütet Tomislav Krusic, Funktionär der Jugendorganisation der Regierungspartei HDZ. „Und das Gerichtsverfahren wird die Beweise erbringen.“ Erst im Laufe des Gesprächs schält es sich heraus, worum es wirklich geht. „Es darf in Kroatien keine Privatarmee geben. Sehen Sie, noch während des Krieges in Slowenien haben alle kroatischen Parteien im geheimen bewaffnete Verbände aufgestellt. Doch dann wurden diese Gruppen in die Nationalgarde integriert. Nur die Paraga-Leute nicht. Einheiten in Ustascha-Uniformen schädigen das kroatische Ansehen im Ausland.“ Und immerhin sei es eine Vorbedingung für den Einsatz von Friedenstruppen der Vereinten Nationen, daß die Freischärlergruppen auf beiden Seiten kontrolliert würden. „Auch wenn das Vorgehen Tudjmans gegenüber Paraga mit unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar ist, so ist es doch richtig, die HOS-Truppen unter Kontrolle zu nehmen.“ Ausdrücklich bestätigt Jadran Vilovic, führender Funktionär der Nachfolgepartei der Kommunisten, daß Tudjman im Fall Paraga in Hinblick auf die UN-Bedingungen und unter außenpolitischen Gesichtspunkten gehandelt hat. Auch die charismatische Führerin der Kroatischen Volkspartei HNS, Savka Dabcevic- Kucar, schließt sich dieser Sichtweise an. Für sie ist es unerträglich, daß diese rechten Extremisten das Bild Kroatiens im Ausland verdunkeln.
Von den meisten anderen Parteien wird der autokratische Führungsstil Tudjmans ebenfalls kritisiert. Tudjman habe zwar eine Regierung der nationalen Einheit geschaffen, in der alle wichtigen Parteien beteiligt sind, doch regiere er am Parlament vorbei. Beschlüsse, auch die über die Unterzeichnung von nun 14 Waffenstillständen, würden von Tudjman ohne Rücksprache selbstherrlich getroffen, er regiere im Stil einer „milden Diktatur“. Anders als der slowenische Präsident Kucan, der das Brioni-Abkommen im Juli vom slowenischen Parlament absegnen ließ, trage Tudjman in Kroatien allein die Verantwortung. Mißerfolge fielen deshalb voll auf ihn zurück.
Tudjmans Stern sinkt
Kein Zweifel. Die Popularität Tudjmans ist in den letzten Wochen und Monaten stetig gesunken. Nach einer neuesten Umfrage würden bei einer (verfassungsgemäß nicht möglichen) Direktwahl des Präsidenten nur noch 25 Prozent der Wähler für ihn stimmen, dagegen für Savka Dabcevic-Kucar schon 20 Prozent mit steigender Tendenz. Die Tudjman-Partei HDZ käme auf 33 Prozent der Stimmen, die Volkspartei auf 24, die Ex-Kommunisten auf 13, die Sozialliberalen auf 12 und die Paraga-Partei auf weit unter 5 Prozent. Diese letzte Zahl jedoch wird zunehmend in Zweifel gezogen. Mit seiner Festnahme ist Paraga vermutlich politisch aufgewertet worden. Je länger der Krieg andauere, je schmerzlicher weitere Niederlagen würden, desto größer wird wohl die Popularität von Tudjmans Gegenspieler.
Kein Wunder also, daß sich die meisten Politiker auch aus diesem Grund den Einsatz von Blauhelmen — wenn es sein müßte — selbst an der Frontlinie zu wünschen beginnen. War noch vor Tagen der Einsatz der UN-Truppen von kroatischer Seite an die Bedingung geknüpft, ihr Einsatzgebiet könnte lediglich an den legitimen Grenzen des Staates sein, wird nun dieser Standpunkt zunehmend aufgeweicht. Vorbedingung bleibe allerdings, daß die Armee sich an die Grenzen des Staates zurückzieht. Die UN-Truppen könnten dann von der Frontlinie aus den Rückzug der Armee überwachen und in die freigewordenen Gebiete nachrücken. Auch nach Knin, dort wo serbische Milizen das Sagen haben. Doch die Regierung der „Autonomen Serbischen Republik Krajina“, deren Hauptstadt Knin ist und die über eine eigene Miliz verfügt, hat bereits angekündigt, daß sie „keine Stationierung irgendwelcher ausländischer Truppen, auch nicht der UNO-Friedenstruppen, auf ihrem Territorium zulassen“ werde.
„Am 5. Dezember werden wir eine neue Vorleistung bringen und alle Bedingungen der EG erfüllen. Dann wird nämlich das Parlament einen Zusatzartikel zu Artikel 15 verabschieden, der den serbisch besiedelten Gebieten einen Sonderstatus einräumt.“ Allerdings verlangen alle wichtigen Parteien in Kroatien, daß solche Regelungen im gesamten ehemaligen Jugoslawien getroffen werden, also auch in Serbien.
Die Forderung nach einem Einsatz von Blauhelmen wird nun auch von weiterer Seite erhoben. Politiker aus dem Sandzak, einer moslemisch besiedelten Region im Süden Serbiens, und dem albanisch besiedelten Kosovo, dessen Autonomie Serbien selbst vor zwei Jahren aufgehoben hat, rufen ebenfalls nach UNO- Truppen — die in Serbien stationiert werden sollen.
Serbien seinerseits will die Blauhelme ausschließlich auf kroatischem Gebiet stationiert wissen, um ein militärisch geschaffenes Fait accompli politisch abzusichern. Die UNO-Truppe könnte wohl aber frühestens in 30 Tagen kommen, schätzt man in Belgrad. Bis dahin will Serbien offenbar noch weitere Gebiete Kroatiens unter Kontrolle bringen. Zagreb selbst aber braucht wohl keinen Angriff zu fürchten. Selbst serbische Extremisten melden keine Ansprüche auf die kroatische Hauptstadt an. „Kroatien“, so sagen sie, „ist so groß, wie man vom Turm des Zagreber Doms aus sehen kann.“ So wird sich Kroatien weiterhin wehren müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen