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■ Fragen, die Sie sich nie zu fragen trauten„Schschschtt: It's Quiz-Time“

Old Welwyn (taz) – Die Geschichten liegen auf der Straße – das ist eine der wenigen JournalistInnen-Weisheiten, die sich immer wieder bewahrheiten. Sogar in der eigenen Stammkneipe. Die glückliche Verquickung nimmt ihren Anfang mit einem warnenden „schschschtt!“, das uns zur Ruhe mahnt, als ich mit ein paar FreundInnen den Fuß über die Schwelle des „White Horse“ im englischen Dorf Old Welwyn setze. Eine merkwürdige respektvolle Stille herrscht im Raum, dessen ganze Aufmerksamkeit einer Ecke gebührt. Mit ernsten, angestrengten Mienen sitzen sich da zwei Vierer- Gruppen gegenüber, zwischen ihnen thront der sonst so geschwätzige Wirt auf einem Barhocker – in der Linken eine Stoppuhr, in der Rechten ein paar Zettel, von denen er gerade abliest: „Welcher Stern ist der Sonne am nächsten?“ Wie bitte? drehe ich mich fragend um, als mein Nachbar mich flüsternd belehrt: „It's Quiz-Time.“

Während sich die eine Gruppe jetzt provozierend cool zurücklehnt, um erst mal einen Schluck zu nehmen, setzt am anderen Tisch Aktion ein. Hektisch kritzelt man auf kleinen Zetteln rum, tuschelt aufgeregt, kritzelt wieder, tuschelt... „Noch fünf Sekunden“, mahnt der Wirt, und am Nachbartisch werden bereits schadenfroh die Hälse gereckt. Zu früh: „Proxima Centauri“ serviert der Teamkapitän den verblüfften GegnerInnen genußvoll die richtige Antwort und läßt seinen Blick triumphierend zu den staunenden ZuhörerInnen gleiten. Hier, so erfahre ich, mißt das Team des „White Horse“ gerade sein Wissen mit dem der „Goats“ aus dem Nachbardorf.

In welcher Stadt war Matt Dillon Marshall? Welche Hunderasse hat ihren Namen vom Clumber Park in Nottinghamshire, wo sie dem Herzog von Newcastle zur Jagd dienten? Fragen, ehrlich gesagt, die ich mir noch nie im Leben gestellt habe, doch das macht sie eben aus: die echten Quizfreaks. Den Kopf voll mit unnützem Wissen, ungeduldig wartend auf die Kombination vom richtigen Ort und der richtigen Zeit, um es endlich anzubringen. Nach dem Motto „think and drink“ wird ihre Sucht zum Gesellschaftsspiel: dem Pub- Quiz. Die Kneipenkultur, die in den 50er Jahren aufkam, hat heute Hochkonjunktur. Immer mehr arbeitslose AkademikerInnen finden mit hausgemachten Fragen als Dealer in der Rateszene eine neue Beschäftigung, in der Tausende von Teams landesweit unter Tüftelsucht leiden. Sie sind jeweils Quiz-Ligen zugeordnet, die von den lokalen Brauerei-Domänen gestellt werden. Größte und älteste ist mit 288 Teams die Liverpooler Merseyside-Liga, die es seit 1959 gibt. Das erkennen die Quizfreaks im „White Horse“ an – schließlich streut auch ihre Greenall-Witney- Liga mit etlichen Teams nördlich von London regelmäßig ihre Weisheiten unters Volk.

Jeden Dienstag exakt um 8.30 Uhr geschieht dann in jedem dieser Pubs dasselbe: Flehenden Blickes verfolgen die Rate-ManierInnen das Öffnen eines versiegelten Umschlages, der sie erlösen soll von der drückenden Qual des zurückgehaltenen Wissens. Er enthält für alle Teams einer Liga dieselben Fragen – angefangen von griechischer Mythologie bis hin zur Popmusik... Was kann man doch nicht alles wissen!

53 zu 50 Punkte für die Goats steht es, doch in Jubel bricht noch keiner aus. Denn 20 Fragen sollen nun darüber richten, wer das Bier bezahlen muß. Und das kann mitunter teurer werden als ein Punkteverlust – ist es doch nicht nur der Wissensdurst, der die Quizfans in ihren Pub zieht. Und ich staune, was ich doch alles an diesem Abend dazugelernt habe. Hoffentlich kommt irgendwann, irgendwo die Gelegenheit, es auch anzubringen... Antje Passenheim

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