piwik no script img

■ Schöner lebenFragen des Umzugs

So ein Umzug am Samstag morgen ist nicht nur eine willkommene Lockerung wochenendmüder Glieder. Nicht selten führt er die zum Zupacken versammelten Freunde auch zart in die verborgene Vorgeschichte des Wohnungswechslers ein und wirft dabei – wie bei einer ärchologischen Grabung im Urgestein der Menschheit – tiefe Fragen seiner Existenz auf.

Zum Beispiel so: Da hat doch unser Freund, nennen wir ihn Peter, seinen schwergewichtigen Buchbesitz zwecks Erleichterung des Umzugs in langen Nächten auf zwei Haufen umgeschichtet. Doch Peters Anweisung: „Alles, was rechts liegt mitnehmen, alles, was links liegt, liegenlassen!“ kommt – Absicht oder Fügung – bei einem Gutteil der Umzugshelfer nicht an. Und so stehen wir nun an der Laster-Ladeflächen und sollen entscheiden: Gehört der Inhalt dieser Bücherkiste wieder ins Regal oder ist er Altpapier?

Da gibt es eindeutige Fälle: Eine Kiste mit Brecht, eine andere mit der Bibel obenauf – die müssen mit. Die grauen Suhrkamp-Bände sind schließlich was fürs Leben und die Konfirmations-Bibel traut sich – Aberglaube sei Dank – doch sowieso keiner wegzuwerfen.

Oder umgekehrt: Günther Amendt: „Sexfront“, Verena Stephan: „Häutungen“ – weg damit. Soviel Sentimentalität für den verklemmten Aufklärungswillen der 70er trauen wir Peter nun wirklich nicht mehr zu.

Aber wie ist es mit den drei Kisten Asterix und Obelix? Seinen abgeknutschten Teddybär würde Peter schließlich auch nicht wegwerfen. Oder das hier: „Nicaragua, ein Volk im Familienbesitz“, das ist nach 15 Jahren schon wieder aktuell.

Und was ist von der Kiste zu halten mit dem Ratgeber obenauf: „2CV – so helfe ich mir selbst“? Na gut, Peter fährt schon seit Jahren keine Ente mehr, aber die unendlich schwere Schallplattensammlung zieht ja auch nochmal mit um, obwohl bei ihm längst der CD-Player die Musik macht. Ein voluminöses „Wörterbuch der politischen Philosophie“, VEB Dietz-Verlag, EVP 6,90 Mark? – Nein, Nachschlagewerke wirft man nicht weg...

Und dann kommt Peter selber die Treppe hinuntergestürmt. „Um Gottes Willen, ihr könnt doch nicht meine Tagebücher ins Altpapier schmeißen!“ Ein lehrreicher Umzug: Nicht überall, wo „Leerbuch“ draufsteht, ist wirklich nichts drin. Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen