Fotografie-Ausstellung "Ode" in Oldenburg: Abbildung und Spiegel

Der Kunstverein Oldenburg zeigt Arbeiten von Frauke Eigen. Deren Bilder sind manchmal schon zu gut gelungen. Andererseits: Vor lauter Ästhetisierung vergisst sie nie, dass das Foto auch Dokument sein will.

Zweig einer Kirschbaumblüte: Aufgezogen auf edles, fast schon vergangen wirkendes Barytpapier. Bild: Kunstverein Oldenburg

OLDENBURG taz | Was verliert, wenn man es malt? Die Blüten des Goldnesselstrauches. Und die Nelken. Und Kirschbaumblüten. Das schrieb einst die Hofdame Sei Shonagan in ihrem Kopfkissenbuch, einem Buch aus der späteren Heian-Zeit, 898 bis 1186 n. Chr. Und nun steht der heutige Besucher im Kunstverein Oldenburg und schaut auf - Kirschbaumblüten.

Gut: Sie sind nicht gemalt, auch nicht gezeichnet, auch wenn sie auf den ersten Blick so wirken. Sie sind fotografiert, in Schwarz-Weiß. Aber auch das ist nicht ganz richtig, wie ein zweiter Blick verrät: Es ist der Schatten eines Kirschbaumblütenzweiges, der ein Bild füllt, aufgezogen auf edles, fast schon vergangen wirkendes Barytpapier.

"Ode" heißt die aktuelle Ausstellung der Berliner Fotografin Frauke Eigen in Oldenburg. Sie scheint, zunächst der Reduktion zu frönen: Fassaden verwandeln sich in grafische Muster. Ornamente auf Wandbespannungen beruhigen und verrätseln zugleich.

"Tatsumi" ist der Titel einer beeindruckenden Arbeit: ein Blick auf eine graue Fertigbetonplatte. Ein Bauelement, das hunderttausendfach verbaut worden sein dürfte, praktisch und ungeschliffen und in dessen Wirkungskreis nun ein einzelner blühender Kirschbaumzweig hineinragt.

"Vor diesem Bild bleiben alle stehen, und alle sind begeistert", sagt Jörg Kinner, Leiter des Kunstvereins. Und es ist kurz so, als schüttele er darüber insgeheim den Kopf. Okay, es stimmt: Vielleicht ist dieses Bild ein bisschen zu perfekt, zu didaktisch. Zu gelungen kontrastiert es Natur und Kultur, Wildes und Gezähmtes, wobei schnell die Frage auftaucht, was denn nun was ist. Zu japanisch wirkt es auch - zumindest von uns aus gesehen, die wir gerade in Oldenburg in Oldenburg stehen.

Aber das Bild ist eben auch richtig gut; richtig gut komponiert, also ausgewählt oder gesehen, vielleicht auch gefunden. Wie überhaupt diese kleine, feine Ausstellung einem eine schöne, kontemplative Stunde bescheren kann.

Frauke Eigen ist eine Fotokünstlerin, bei der es lohnt, sich mit ihren Werken zu beschäftigen. Denn die bieten die Chance, das Spannungsfeld von Fotografie als Abbildungs- wie als Spiegelmedium zu erkunden.

1969 im ostfriesischen Aurich geboren, zog es Eigen zum Studium nach London, wo sie erst mit Wolfgang Tillmans am Bournemouth Institute, dann am Royal College of Art die Bild- und Formsprache der Fotografie erlernte. Schon mit ihrer allerersten Ausstellung "Gretchens Hochzeitstag" bewies sie 1994 eine ganz eigene Handschrift - führten ihre Arbeiten doch in einen Schlachthof.

Auch wenn sie bald selbst unterrichtete, war und ist Eigen doch immer selbst mit der Kamera unterwegs, um die Fotografie als Kunstgenre mit den Gegebenheiten der Wirklichkeit zu konfrontieren, vorzugsweise in Gegenden, die gerne Krisengebiete genannt werden: Bosnien, Mazedonien oder auch von Drogenwirren geschüttelte Regionen Mexikos. So war sie mit Porträtarbeiten in der Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" im Deutschen Historischen Museum 1999 in Berlin vertreten.

2003 reiste sie als Dokumentarfotografin im Auftrag des Technischen Hilfswerkes durch Afghanistan. Eigen hat diese Zeit auch dazu genutzt, afghanische Frauen und Kinder in einer ganz eigenen Strenge und Würde zu portraitieren. Und so fehlten endlich einmal die üblichen Bilder waffenstarrender, aber irgendwie wild exotisch anmutender Männer oder die Ansichten malerisch zerschossener Ruinen, als sie ihre Ergebnisse anschließend in der Nationalgalerie in Kabul ausstellte.

2007 wiederum kuratierte sie in Beirut mit "Be Sides" eine Ausstellung junger libanesischer Fotografen, deren Arbeitsergebnisse anschließend nicht in der Beiruter Innenstadt, sondern in dem Außenviertel Haret Hreik gezeigt wurden - wo sich aktuelle Kunst sonst eher nicht blicken lässt.

Auch im Kosovo fand sie einen eigenen Zugang zu den örtlichen politischen Verwerfungen, um daraus fundamental gültige Werke zu schaffen: Als sie von der Öffnung verschiedener Massengräber erfuhr, fuhr sie dorthin - und erlebte Überraschendes. Die einstige Kleidung der Toten, ihre T-Shirts, ihre Hosen oder Accessoires wie Gürtel oder Uhren, wie sie einzeln, gesäubert, gewaschen und wieder getrocknet vor ihr lagen, berührten sie weit mehr als die exhumierten Körper selbst.

Die im Jahr 2000 entstandenen Aufnahmen dieser Kleidungsfundstücke sind ihr Beitrag zur Gruppenausstellung "Woman War Artists" im Imperial Museum of War in London, die noch bis zum Januar kommenden Jahres dort zu sehen ist.

Seit 2006 zieht es Frauke Eigen immer wieder nach Japan, das in den letzten Jahren so etwas wie ihr fotografisches Erkundungsfeld geworden ist. Und so bietet "Ode" nun einen Blick über ihre bisherigen Exkursionen und die Schätze, die sie mitbrachte.

Dabei sind ihre Arbeiten nie reine, abstrakte und ungeschichtliche Form: Ihre Bildnisse vermutlich hochkomplexer Kimono-Knoten lassen sich auch lesen als die Befragung der Gültigkeit traditioneller Kräfte in hochmodernen Zeiten. Die nicht nur geologischen Erschütterungen des Erdbeben von Kobe 1995 wiederum hat sie in einem kleinen, schlichten Bild gebannt: ein Blick auf eine Milchglasscheibe, durch die sich ein Riss zieht.

Der Oldenburger Ausstellungsraum kommt Eigens Bildern zu Gute: Mit seinem grauen, an einigen Stellen leicht eingerissenen Fußboden, den schwarzen Stützbalken und vor allem den geweißten Wänden wirkt er, als sei er eigens für sie gebaut worden.

Da verwundert es auch kaum, dass sie im dortigen Kunstverein nun ihre allererste Installation zeigt: In einem etwas abgeschiedenen Raum hängen an nahezu unsichtbaren Fäden in einer strengen Anordnungen traditionelle Temari-Bälle von der Decke und verschaffen dem Besucher, der sich - entsprechend vorsichtig, versteht sich - in diesen Raum stellt, eine ganz eigene räumliche Erfahrung des Schwebens, des Fallens und des wieder Ankommens.

An der Wand, etwas außerhalb des Geschehens, sind sie dann wieder zu finden: Kirschbaumblütenzweige. Gerahmt, also eingefasst, aber nicht unter Glas, scheinen sie als Duo auf das Geschehen zu blicken. Und wirken dabei überhaupt nicht, als hätten sie etwas verloren, sind abgebildet und zugleich sehr gegenwärtig.

bis 31. Juli, Oldenburg, Kunstverein
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