Fotograf Ara Güler ist tot: Das Auge von Istanbul
Er reiste als Journalist durch die Krisenherde der Region und porträtierte Erdoğan und Picasso. Nun ist der türkische Fotograf Ara Güler gestorben.
Wer je etwas länger in Istanbul war, kennt seine Bilder. Einige von ihnen, wie die Tram im Schnee auf der İstiklal, die Fotos der Werftarbeiter am Goldenen Horn oder die der Fischer vom Marmarameer sind längsten zu Ikonen der Stadt und ihrer Menschen geworden. Wer die Menschen Istanbuls im Verlauf der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg kennen lernen will, muss die vielfach gedruckten, berühmten Schwarz-weiß-Fotos Ara Gülers anschauen. Mit seinen Fotos hat er die Seele der Stadt eingefangen.
Nach langer Krankheit ist Ara Güler, Jahrgang 1928, der eigentlich Aram Gülerjan hieß und aus einer armenischen Familie stammte, am Mittwochabend in einer Istanbuler Klinik nach 90 erfüllten Jahren gestorben.
In jüngster Zeit trat Güler wegen seiner Krankheit nur noch selten öffentlich in Erscheinung. Wenn überhaupt konnte man ihn im Café im Erdgeschoss seines Hauses im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu treffen, wo er gelegentlich noch mit Freunden und Bekannten plauderte. In Beyoğlu, wo sein Vater eine große Apotheke besaß, ist Ara Güler auch aufgewachsen. Schon als Jugendlicher hatte er Kontakte zu den Istanbuler Filmstudios „Yeşilçam“, weil er etliche Schauspieler, die in der Apotheke seines Vaters ihr Make-up erwarben, ebendort früh kennenlernte.
Doch nachdem er mit 22 Jahren seine erste Leica geschenkt bekommen hatte, war es um ihn geschehen. Statt als Filmproduzent startete Güler 1950 als Fotojournalist für das Istanbuler Blatt Yeni İstanbul ins Leben. Aus den folgenden zwei Jahrzehnten stammen seine berühmtesten Istanbul-Fotos. Güler startete aber bereits ab 1958 auch eine internationale Karriere. Er wurde Nahost-Korrespondent für das amerikanische Time-Life-Magazin und bereiste sämtliche Krisenherde der Region. Dabei lernte er Henri Cartier-Bresson kennen, der ihn für die Magnum-Fotoagentur anwarb.
Von Gandhi bis Willy Brandt
Danach standen Ara Güler alle Türen offen. Er fotografierte Filmstars in Cannes und PolitikerInnen von Indira Gandhi bis Willy Brandt. Berühmt wurden auch seine Porträts von Pablo Picasso, Salvador Dalí und Marc Chagall. Doch seine Liebe gehörte seiner Heimatstadt Istanbul. In einem Interview sagte er einmal: „Warum ist Istanbul meine Stadt? Nicht wegen der glorreichen Historie oder der berühmten Feldzüge. Nein, ich habe mich hier verliebt, in jede Ecke gepisst, ich bin dort verprügelt worden und habe andere verprügelt. Ich habe in Istanbul eine Vergangenheit. In das Gemäuer hat sich mein Geruch eingenistet. Deshalb ist Istanbul meine Stadt.“
Diese Liebe zu Istanbul zeigte sich in seinem Interesse an den Menschen der Stadt. „Wenn ich die Hagia Sophia fotografiere, kommt es darauf an, welche Menschen mit auf dem Bild sind“, sagte er. „Mich interessiert das Leben der Leute.“ Für seine Fotografien ist Ara Güler vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt 2009 mit dem „Lucie Award“ für sein Lebenswerk in New York. Etliche Istanbul-Bücher sind mit seinen Bildern illustriert, aber vor allem die Fotobände seiner Porträts von Menschen in Istanbul haben ihm den Beinamen „Das Auge Istanbuls“ eingebracht.
Innerhalb der türkischen Linken und Intellektuellenszene hat sein Ruf allerdings gelitten, weil er sich vor einigen Jahren dazu bereitgefunden hatte, die Präsidentenfamilie zu porträtieren. Obwohl Recep Tayyip Erdoğan da schon längst seinen Ruf als Reformer verloren hatte. Das, sagen viele, hätte nicht sein müssen.
Dennoch, Istanbul, die Türkei und die Welt hat einen großen Fotografen verloren.
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