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Fortschritt im Namen der Liebe

■ Eine neue „Orientierungshilfe“ der Evangelischen Kirche erlaubt Schwulen und Lesben, Kirchenämter zu bekleiden

Hamburg (taz) – 56 Seiten umfaßt die Schrift, die Ende vergangener Woche in Hannover vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorgestellt wurde. Neutral ist sie überschrieben: „Mit Spannungen leben.“ Ihr Inhalt indes wird seither in der größten Glaubensgemeinschaft der Bundesrepublik kontrovers und erbittert diskutiert. Denn es handelt sich um eine „Orientierungshilfe“ zum Thema „Homosexualität und Kirche“.

Neunzehn Frauen und Männer, unter ihnen die als liberal bekannte Hamburger Bischöfin Maria Jepsen, der EKD-Ratsvorsitzende Klaus Engelhardt und der eher konservative Plauener Superintendent Thomas Küttler, haben das Thema über zwei Jahre diskutiert. Ob in dem Gremium auch Schwule und Lesben dabei waren, ist jedoch nicht bekannt. Der Tenor des Papiers: Homosexualität ist zwar nach wie vor kein gleichberechtigt wünschenswerter Lebensentwurf für Menschen. Sie dürfe auch nicht gefördert werden, doch zähle für Christen letztlich und in erster Linie das Liebesgebot: „In inhaltlicher Hinsicht muß sich alles kirchliche Reden und so auch dieser Text messen lassen an der Einheit von Wahrheit und Liebe.“

Konkret heißt es, daß homosexuelle Paare gesegnet werden dürfen, aber nicht während eines Gottesdienstes – wobei dies streng genommen keine Diskriminierung bedeutet, denn heterosexuelle Trauveranstaltungen in einer Kirche sind auch keine Gottesdienste. Weiter heißt es, daß die Kirche sich dafür einsetzen werde, alle weltlichen Diskriminierungen gegen Homosexuelle zu beseitigen, im Mietrecht beispielsweise. Aber auch bei der juristischen Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare mit heterosexuellen Gemeinschaften. Weiterhin favorisiert die Kirche jedoch solche Lebensgemeinschaften, die in der Zeugung von Kindern ihren letzten Zweck findet – was durchaus als Zugeständnis an die konservativen Strömungen innerhalb der EKD zu werten ist.

Darüber hinaus markiert die „Orientierungshilfe“ einen Fortschritt, der weit über das hinausgeht, was momentan gesellschaftlich mehrheitsfähig ist. Auch wenn ausdrücklich festgestellt wird, daß in der Bibel Homosexualität abgelehnt wird. Trotzdem: Schwule und lesbische Pfarrer und Pastorinnen müssen, nimmt man die Thesen ernst, nicht mehr mit Berufsverbot rechnen, wenn ihre gelebte Sexualität innerhalb der Gemeinden bekannt wird. Sogar ein Zusammenleben von homosexuellen Pastoren in den Gemeinden wird, wenn auch im „Ausnahmefall“, für denkbar gehalten – wenn der Gottesmann verzichtet, von der Kanzel herab seine Homosexualität als bestes Liebesmodell zu preisen.

Das Papier war kaum bekannt, da hagelte es auch schon Kritik. Der Bundesverband Homosexualität in Berlin findet es „beschämend und empörend zugleich“, weil die EKD „alte Unwerturteile“ aufrechterhalte. Die Gruppe „Homosexuelle und Kirche“ hält die Schrift für „nicht zufriedenstellend“, und der schwule Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, empfindet die „Orientierungshilfe“ gar als „Dokument der Scheinheiligkeit“. Rainer Jarchow, Aids-Pastor in Hamburg, glaubt, daß die EKD-Epistel „als von Angst vor Mißverständnissen geprägt“ sei. Nur Manfred Bruns vom Schwulenverband Deutschlands wertet die Stellungnahme differenzierter, doch „neben einigen Fortschritten enthält das EKD-Papier schlimme Ausgrenzungen und Abwertungen homosexueller Menschen“.

Tatsächlich muß eher das konservative Christenmilieu Grund haben, sich zu beklagen, denn es hat in dem Papier eine schwere Niederlage erlitten. Die EKD nimmt Abschied von dem Glauben, Homosexualität sei kurierbar oder ein Grund, sich zu schämen. Die zahllosen Männer und Frauen, die während der vergangenen 20 Jahre aus dem Kirchendienst ausscheiden mußten, weil sie homosexuell sind, hätten heute nichts zu fürchten. Jan Feddersen

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