Forscher prüfen Power-Bäume: Mammut statt Fichte
Eine Versuchsanstalt will Mammutbäume in Niedersachsen ansiedeln. Sie wachsen viermal schneller als die heimische Fichten. Der Nabu befürchtet Monokulturen und einen Schaden für die Artenvielfalt.
HAMBURG taz | In Niedersachsen sollen die Bäume in den Himmel wachsen. Die Forstliche Versuchsanstalt (FVA) für Nordwestdeutschland in Göttingen arbeitet daran, Mammutbäume in den Wäldern anzusiedeln. Die Nadelbäume aus Nordamerika werden bis zu 100 Meter hoch und wachsen zwei- bis viermal schneller als Fichten. Wenn Mammutbäume großflächig angebaut würden, zerstöre das die biologische Vielfalt, warnte der Naturschutzbund (Nabu).
Die Versuchsanstalt forscht im Auftrag von vier Bundesländern zu Fragen der Forstwirtschaft. Dabei spielen nicht zuletzt die Folgen des Klimawandels eine Rolle. Die Mammutbäume könnten helfen, den wachsenden Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen zu decken. Sie können Hitze gut aushalten und Feuer widerstehen. Das könnte ihren Anbau in Zukunft interessant machen.
Schon heute wachsen allein in Niedersachsen an rund 500 Standorten Mammutbäume. Seit 20 Jahren untersuchen die Wissenschaftler der Versuchsanstalt, wie Mammutbäume hier heimisch gemacht werden könnten. Die bisherigen Resultate seien positiv, sagte ein Sprecher. Die Bäume gediehen prächtig. Ein Problem sei allerdings noch, dass die Bäume kälteempfindlich seien. Die Forscher versuchen, dem durch Züchtung zu begegnen. Sie nutzen im Gebirge wachsende Mammutbäume aus den USA, um frostresistente Exemplare heranzuziehen.
Mammutbäume gehören dem Volumen nach zu den größten Lebewesen der Erde. Sie können 100 Meter groß werden, einen Stammdurchmesser von elf Metern erreichen und weit über 1.000 Jahre alt werden.
In Niedersachsen sind im 19. Jahrhundert die ersten Mammutbäume gepflanzt worden. Einer der ältesten steht seit 1860 in Gartow im Wendland. Insgesamt stehen an fast 500 Orten im Land Mammutbäume.
Wachstum: Weil sie so schnell wachsen, können die Mammutbäume mit 65 bis 80 Jahren geerntet werden. Bei Fichten lohnt es sich erst mit 80 bis 100 Jahren, bei Buchen mit 140, bei Eichen mit 230 Jahren.
Naturnahe Waldwirtschaft setzt nicht auf Masse, sondern auf das Erzeugen wertvoller Bäume. Sie versucht dabei, natürliche Prozesse im Wald zu nutzen und nur so wenig wie möglich einzugreifen.
Carsten Böhm vom Nabu Niedersachsen hält die Pläne der Versuchsanstalt für gefährlich. "Der Wald ist unser naturnahstes Ökosystem", sagt Böhm. Die Wälder beherbergten die größten Reste natürlicher oder naturnaher Vegetationsgesellschaften. "Bäume sind die wesentlichen Produktionsschlüssel im Wald", sagt er. Die Baumart bestimme, was dort lebt und wächst. 1.000 Tier- und Pflanzenarten seien allein von der Stieleiche abhängig. Wird sie verdrängt, gibt es für diese Tiere und Pflanzen keine Heimat mehr.
Böhm sieht kein Problem darin, dass einzelne Mammutbäume in den niedersächsischen Wäldern gesetzt werden. Er befürchtet jedoch, dass Mammutbäume in großem Stil in Monokulturen angebaut werden, um schnell viel Biomasse zu liefern. Nachdem Grünland und Wiesen vermaist worden seien, um Biogasanlagen zu füttern, drohe jetzt der Wald einer intensiven Pflanzenproduktion geopfert zu werden.
Schon heute setzten die Förster immer mehr schnell wachsende Nadelbäume von der amerikanischen Pazifikküste. "Das ist für unsere Förster sehr verführerisch", sagt Böhm. Doch die eingeführten Bäume seien auch besonders gefährdet. Den auf sie spezialisierten Schädlingen fehlten hierzulande die Feinde.
Böhm plädiert für eine naturnahe Waldwirtschaft mit heimischen Arten. Deren Vielfalt sei groß genug, um dem Klimawandel zu begegnen. Importe seien dazu nicht notwendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland