Forscher He und Fang über Olympia-Proteste: "Der Druck gegen China hilft nicht"
Aus Sicht der chinesischen Intellektuellen He und Fang führen Proteste im Westen nur zur Solidarisierung der chinesischen Bevölkerung mit ihrer Regierung.
taz: Was halten Sie von Titelbildern westlicher Medien, die Olympische Ringe aus Stacheldraht oder Handschellen darstellen?
He Weifang: Das ist Teil der Pressefreiheit. Ich habe schon schlimmere Bilder in China im Internet gesehen: Menschen, die gerade exekutiert werden, dargestellt in der Form der fünf Ringe. Ich finde das unangebracht. Es gibt Menschenrechtsverletzungen in China, aber man kann nicht sagen, dass nur mit Handschellen die Ordnung aufrecht erhalten wird.
Fang Weigui: Solche Titelbilder wirken in China nur negativ. Sie verletzen die ganze Nation. Wenn das in Deutschland passieren würde, würden die Deutschen genauso reagieren.
Kann Kritik aus dem Westen in China etwas verändern?
Fang: Diesmal hilft der Druck nicht. Selten stand die Bevölkerung so hinter der Regierung wie in den letzten zwei Wochen. Junge Chinesen bewundern eigentlich den Westen. Aber die Berichterstattung jetzt, die Verwendung von Fotos von Polizeigewalt gegen Tibeter, die tatsächlich in Nepal oder Indien gemacht wurden, empört die Chinesen. Junge Leute denken jetzt, der Westen will nur sabotieren.
He: Die auf dem Land lebende Mehrheit ist von vielen Informationen abgeschnitten. Aber die Stadtbevölkerung mit Internetzugang hat keine Probleme sich zu informieren. Sie sehen westliche Kritik zunehmend aus der Perspektive, dass das westliche Ausland uns gegenüber feindlich gesinnt ist. Das sei der wahre Grund, warum man uns jetzt die Spiele nicht gönnt.
Lässt sich die Regierung überhaupt mittels der Spiele unter Druck setzen?
He: Wahrscheinlich sind die Erwartungen an ein überwiegend sportliches Ereignis übertrieben. Chinas Wandel ist ein langfristiger Prozess, den man nicht an einem Großereignis festmachen soll. Die Hoffnung, dass die Spiele ein trojanisches Pferd sein würden, mit deren Hilfe dann Frieden und Glückseligkeit ausbrechen, sind übertrieben.
Fang: Ändern könnte sich vielleicht etwas nach den Spielen. Man kann nicht viel erhoffen, aber Druck wird momentan sicher keine Wirkung haben.
Laut amnesty international hat Olympia bisher die Menschenrechte in China eher geschwächt.
He: Bis zu den Ereignissen in Tibet habe ich eine größere Offenheit bei der Regierung gesehen, jetzt nicht mehr. Wenn man bei Olympia sein Gesicht verliert, ist das schlimmer als sonst. Die Verurteilung des Bürgerrechtlers Hu Jia letzte Woche zu 3,5 Jahren Gefängnis wegen "Subversion" hat auch was mit Olympia zu tun. Früher hätte er eine höhere Strafe bekommen.
Sollten das IOC und die Sponsoren mehr Druck auf Peking ausüben?
He: Die Sponsoren haben einen Rest an gesellschaftlicher Verantwortung, aber vor allem geht es ihnen darum, dass die Spiele stattfinden und sich die Werbeinvestitionen rechnen. Deshalb haben sie kein Interesse, Druck auf die Regierung zu machen.
Fang: Wenn hätte Druck der vor der Vergabe der Spiele erfolgen und diese mit Kondititionen verbunden sein müssen. Chinas Regierung ist schlau genug, um westliche Länder gegeneinander auszuspielen. Diese Erfahrung wurde immer wieder gemacht. Die Firmen fürchten nach August von Aufträgen ausgeschlossen zu werden.
Wie sollte "der Westen" auf die Unterdrückung in Tibet im Hinblick auf die Spiele reagieren?
He: Der Westen ist pluralistisch, und entsprechend sollte es auch verschiedene Ausdrucksformen geben. Doch dabei China als Land der Barbarei darzustellen, ist beleidigend und entspricht nicht der Realität.
Warum gelingt es Chinas Regierung trotz aller Investitionen nicht, die Tibeter auf ihre Seite zu ziehen?
Fang: Die Chinesen verstehen nicht, wie wichtig den Tibetern die Religion ist. Wegen der Zerstörungen von mehr als 2000 Klöstern und Tempeln während der Kulturrevolition haben die Tibeter ein Trauma. Ein weiterer Punkt ist die Übersiedlung. Man sieht bald mehr Han-Chinesen als Tibeter, was Gefühle verletzt.
He: Man muss den Regionen mehr Einfluss geben und dafür sorgen, dass sie adäquat vertreten sind in nationalen Institutionen. Die jetzigen tibetischen Vertreter im Volkskongress oder Zentralkomitee sind nur Alibivertreter. Das in Hongkong praktizierte Konzept "ein Land, zwei Systeme" könnte eine Lösung sein.
INTERVIEW: SVEN HANSEN
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