Forschen und Gründeln

■ »art-appeal« im Kreuzberger Querhaus

Außer ihrer Herkunft haben sie nicht viel gemeinsam. Ismet Ergün, Jörg Grunow, Josina von der Linden und Barbara Schulte- Huermann zeigen derzeit im Kellergeschoß des Querhauses ihre Abschlußarbeiten aus der Abteilung »Malen, Zeichnen und Bühnenbild« der eher für Theater- und Pantomimenlehrgänge sowie -aufführungen berüchtigten Etage. Drei Jahre dauert in der Regel ein Lehrgang bei Andrej Woron und Pauline Disonn an der Kreuzberger Privatschule. Wer in die durchschnittlich 15köpfigen Klassen aufgenommen werden will, muß ähnlich wie an den Kunsthochschulen eine Mappe einreichen, um überhaupt zur Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden. Doch dann scheidet sich der Privatweg vom öffentlichen.

So legt die Malschule den Schwerpunkt auf die klassischen Ölmalerei, an die die Elèven schrittweise über gängige Stilleben herangeführt werden. Für aufwendigere Disziplinen wie Bildhauerei fehlen schlicht die Räumlichkeiten, hätte wohl auch niemand das Geld dafür, müssen doch die Materialien von den Schülern bezahlt werden. Kontakte zu knüpfen, sich an Ausstellungen zu beteiligen und von sich reden zu machen, haben die Schüler wenig Gelegenheit. Nicht wenige versuchen darum, von der Etage an die HdK zu springen, denn nur Ausnahmen von der Regel haben sich bisher nach abgeschlossener Ausbildung an der Etage in der Künstlerwelt einrichten können.

Die Vier vom Querhaus wollen das ändern. Vom Unterricht fortbewegt haben sie sich schon im Umgang mit ihren Materialien. Barbara Schulte-Huermann forschte in vergangenen Kulturen nach mythologischen Darstellungen von Frauen. Die in die Gegenwart versetzten Abbilder erzählen ihre Überlieferungsgeschichte mit: Schulte-Huermann kopierte Zeichnungen aus kunsthistorischen Bänden. In den schmalen Rahmen finden sich nun die Abzüge sitzender und stehender vormykenischer Figuren aus Amorgos und Kreta neben Tonfiguren aus Rumänien, »prähistorisch nach Obermaier aus Hoermes«, einem Siegelzylinder aus Ur und neben Abdrücken aus »Mode, Indische Frühkulturen«. Winzig klein nebeneinandergereiht scheinen sie wie gewebt eine Stoffgrundlage für die Figuren zu bilden, die Schulte-Huermann aus ihnen entwickelt und über die Collage gelegt hat. Lange Idole recken sich mit stilisiertem Busen und spitzem Dreieck zwischen den gespreizten Beinen empor, erst zweidimensional, dann in einer Sand-Acryl-Tee-Mischung auf Nessel auch zunehmend plastischer vor monochrom gewordenem Hintergrund. »Hommage an Pauline« heißt eines dieser feierlich hohen Bilder, die Verbeugung vor der Lehrerin.

Weniger weit in die Ferne schweifen die, die der Arbeit mit Farbe den Vorzug geben. Ismet Ergüns plakativen Selbstergründungsporträts gegenüber stehen die Litfaßsäulenreste Grunows. Die geleimten Schichten von Kulturreklame aus der DDR der letzten 15 bis 20 Jahre wurden übermalt mit neuer Kultur, mit Ölschichten, so dick und frisch, daß der ganze Raum nach ihnen riecht; die neuen Objekte noch einmal zum Poster gemacht mit Titeln wie »Eintauchen in die eigene Geschichte«.

Tief taucht dann tatsächlich Josina von der Linden. Ihr Thema wurde der Fisch, nachdem sie einmal mit spanischen Fischern aufs Meer hinausgefahren war, um beim Einholen der Thunfischreusen zuzuschauen. Dort sah sie Mann und Fisch ganz Hemingway sich noch den klassischen Kampf liefern — die jungen Männer stiegen zu den in den Netzen verkeilten Dreimeterbrocken und erlegten sie mit einem Haken, den sie in die Augen der Tiere trieben. So beeindruckt verkehrte von der Linden in ihren Arbeiten das christliche Symbol des Lebens in sein Gegenteil. Der Fisch ist nun Zeichen für Verenden und für völlige Auflösung. Installationen lassen Fischphantome an Haken und Ketten von der Decke hängen, daß sie sacht in der Zugluft wehen. Neben einem weiteren ausgehöhlten Meeresbewohner liegt gleich ein Skelett auf Granulatstückchen. Walgesänge vom Band sorgen für das rechte Weh.

Weniger pathetisch sind von der Lindens kleine Artefakte, Fundstücke vom Strand — Sepiaschalen, Pflanzenreste und Knochenstückchen, die auf sparsam weiß bepinselten Brettchen vom Staubwerden künden, daß es an der Seele zerrt und tröstet zugleich. Weniger ist mehr. Die großformatigen Bilder von Fisch und Sepia in bombastischen Flächen, »Alchemie der Schmerzen« genannt, können neben den Miniaturen in ihrem Mehr nur weniger werden. ZeWa

Bis 13.4. in der Muskauer Straße 24, 1-36, tägl. 16-19 Uhr, Finnisage am 13.4. mit art-appeals-jazz