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Forderungen an nächste BundesregierungWas die Wissenschaft erwartet

Die großen Wissenschaftsorganisationen haben Forderungen an die neue Bundesregierung gestellt. Es geht nicht nur um Geld. Ein Überblick.

Der Druck, auch die neuen Gentech-Verfahren in der Pflanzen­züchtung zuzulassen, wird größer Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Berlin taz | Die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen können am 26. September in der Wahlkabine zwar formell kein Kreuzchen machen. Dennoch haben sie, so wie die Stimmberechtigten, ihre Erwartungen an die politischen Parteien und die künftige Bundesregierung, die sie in den letzten Monaten in Positionspapieren und Forderungskatalogen niedergelegt haben.

Dass die Zukunftsthemen der Wissenschaftler aktuell auf Marktplätzen und in TV-Triellen nur äußerst randständig angesprochen werden, ist allerdings nicht nur der kommunikativen Schlagseitigkeit des Wahlkampfs geschuldet. Auch die Interessensvertretungen der Wissenschaft suchen ihrerseits – allen Erklärungen zur Relevanz von Wissenschaftskommunikation zum Trotz – nur wenig aktiv den Weg in die Arena der Öffentlichkeit. Bislang gab es beispielsweise keine Pressekonferenz, in der die Forderungen der Wissenschaftspolitiker in den medialen Raum getragen wurden. Zur großen politischen Entscheidungswahl bleibt die deutsche Wissenschaft schweigsam in der Nische.

Im Juli hatte bereits die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihr Impuls-Papier mit dem Titel „Erkenntnisgeleitete Forschung stärken, von Wissensspeichern profitieren“ vorgestellt. In 13 Themen wurden darin die Erwartungen an die kommende Legislaturperiode formuliert, von der Exzellenzstrategie zur weiteren Stärkung der Spitzenforschung an den deutschen Hochschulen über die tief greifenden Veränderungsprozesse in den Wissenschaften durch den digitalen Wandel bis hin zur Universitätsmedizin und translationalen Forschung sowie den neuen Züchtungstechniken in der Landwirtschaft.

„Auf allen diesen Feldern brauchen wir auch in der kommenden Legislaturperiode möglichst frühzeitige politische Weichenstellungen“, betonte die DFG-Präsidentin Katja Becker. „Die kurzfristige Stärke der Wissenschaft hängt von der langfristigen Stabilität ihrer Grundlagen ab.“ Deshalb sei die weitere konsequente Stärkung der erkenntnisgeleiteten Grundlagenforschung von entscheidender Bedeutung. Becker: „Sie muss auch trotz Neuverschuldung und sinkender Steuereinnahmen im Zuge der Coronavirus-Pandemie entsprechend finanziert und gefördert werden.“

Den wirtschaftlichen Nutzen hebt die Fraunhofer-Gesellschaft, das deutsche Flaggschiff für die angewandte Forschung, in ihrem Statement hervor. Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer verweist auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung aus dem Jahr 2020, wonach „ein Euro an Fraunhofer-Budget das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 21 Euro erhöht“. Eine britische Untersuchung – erstellt vom Fraser of Allander Institute an der University of Strathclyde in Glasgow – habe diese Hebelwirkung bestätigt. Danach seien durch die Arbeiten der Fraunhofer-Forscher „Beschäftigungseffekte von ca. 437.000 Vollzeitjobs und Investitionseffekte in der Wirtschaft von über 15,2 Milliarden Euro“ entstanden.

Herausforderungen für die Bundesregierung

Auch in der kommenden Legislaturperiode stünden der künftigen Bundesregierung „enorme Herausforderungen“ bevor, so Neugebauer. Dafür hat Fraunhofer 12 „Politik-Papiere“ formuliert, deren Themen von Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft, digitale Souveränität und Brennstoffzellen-Produktion bis zu Mobilität im Wandel und regionalen Innovationsökosystemen reichen.

Zwar habe sich das deutsche Wissenschaftssystem in den zurückliegenden Jahren bewährt, findet auch die „Allianz“ der zehn führenden Dachverbände aus Hochschulen und Forschung, deren Verbund derzeit vom Wissenschaftsrat angeführt wird. Dennoch seien durch die Corona­krise sowohl „Stärken und Schwächen, Handlungsbedarf und Handlungsspielräume zutage getreten“. Nötig sei jetzt, „gemeinsam Lehren aus diesen Erfahrungen zu ziehen und zu beherzigen“, um daraus eine „starke Vision für die Weiterentwicklung des Wissenschaftsstandortes Deutschland für das Jahr 2025“ zu verwirklichen.

Ein Vorschlag – nicht so überraschend – zielt darauf, dass zur weiteren Stärkung des Systems „administrative Hürden abgebaut und Detailsteuerung vermieden werden“ sollte. Konkreter ist schon die Anregung, zu neuen Kompetenz-Abstimmungen zwischen Bund und Ländern zu kommen: „Artikel 91 b des Grundgesetzes bietet hierfür einen Rahmen, den es zu nutzen gilt“, heißt es im Allianz-Papier. Die vom Bundestag in dieser Woche beschlossene Bundesfinanzierung der Ganztags-Betreuung in Grundschulen ist ein Beispiel dafür.

Im Innovationsbereich, also der Umsetzung von Forschungsergebnissen, plädiert die Allianz der Wissenschaftsorganisationen dafür, dass „Bürgerinnen und Bürger frühzeitig in Innovationsprozesse einbezogen werden“ sollten. Dazu brauche es „neue Organisationsmodelle sowie die Änderung von Verhaltensweisen, also soziale Innovationen“, die beide als zentrale Elemente in einer neuen Innovationsstrategie enthalten sein sollten. Erste Schritte dafür könnten in „Erprobungsräumen wie Reallaboren oder Demonstrationsanlagen und Innovationsökosystemen unter Beteiligung von Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft“ erfolgen.

Konkreter wird an dieser Stelle die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in ihrem Positionspapier „Sechs Ziele für die Wissenschaftspolitik nach der Bundestagswahl“, das gleich eingangs deutlich kritisiert: „Unsere Wissenschafts- und Technologiepolitik ist zu langsam und zu unflexibel.“ Oder: „Alle Akteure des Wissenschaftssystems müssen schneller, stazchlagkräftiger und agiler werden.“ Nach Auffassung der führenden deutschen Organisation für Grundlagenforschung, die im letzten Jahr wieder zwei Nobelpreise einheimsen konnte, sollten vor allem „zukunftsträchtige Forschungsbereiche zügig und entschlossen bearbeitet werden“. Dies seien in den kommenden Jahren insbesondere Wasserstoff- und Quantentechnologien, Medikamentenentwicklung, Risikomanagement und Krisenresilienz sowie künstliche Intelligenz.

„In diesen Feldern brauchen wir klare wissenschaftsbasierte nationale Schwer­punktsetzungen und groß angelegte strategische Ini­tia­ti­ven“, fordert die MPG. Autonomie gilt als oberste Prämisse: „Der Staat soll Forschung ermöglichen, nicht anweisen oder steuern“, heißt es im Max-Planck-Papier. Auf allen staatlichen Ebenen gelte es deshalb, „Bürokratie abzubauen und verwässernde Kompromisse zu vermeiden“. Überdies sollte ein „Experimentierraum“ eingerichtet werden, „in dem Wissenschaftsakteure größere Freiheitsgrade, etwa bei Bauvorschriften und den Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder auch flexiblere Karrierewege erproben können“.

Agentur für Wasserstoff-Foschung

Auch die aktuelle Diskussion über neue Agentur-Modelle greift die MPG auf. „Um wissenschaftlich-technologische Großprojekte zügiger und konsistenter umzusetzen, sollten eigenständige Agentu­ren gegründet werden“, lautet eine Anregung. Sie sollten unabhängig von der Politik handeln können und eine stabile, langfristige Finanzierung erhalten. Am dringendsten gebraucht werde „eine Wasserstoff-Agentur, um eine wissenschaftlich und ökonomisch tragfähige Wasserstoffwirt­schaft in Deutschland zu etablieren“.

Auch um kritische Forschungsthemen macht die MPG keinen Bogen. Für „ethisch umstrittene Forschungsfelder wie Genome Editing oder KI-basierten Technologien“ müssten rechtliche Rahmenbedingungen „unter sorgsamer Abwägung von Risiken und Chancen“ gestaltet werden – eine Aufgabe für die kommende Legislative und Exekutive.

Zur künftigen Rolle des Bundes in der Hochschulpolitik hatte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Dachorganisation der Universitäten und Fachhochschulen ebenfalls ihre Erwartungen zu den Themenkomplexen „Gute Rahmenbedingungen für Studium und Lehre“, „Forderungen an Bund und Länder zur Weiterentwicklung der digitalen Lehrinfrastrukturen“, „Akademisierung der Gesundheitsberufe“ und „Anforderungen an eine Weiterentwicklung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)“ formuliert. Ergänzt wurde das jetzt um eine Befragung der Bundestagsparteien zu acht Themenkomplexen, darunter Digitalisierung der Hochschulen und die Akademisierung von Gesundheitsberufen.

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7 Kommentare

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  • Die „Interessensvertretungen der Wissenschaft“? Wer oder was sollte das sein? Seit wann, bitte, hat denn „die Wissenschaft“ einheitliche Interessen? Ist nicht beispielsweise die „Exzellenz“ des einen des anderen „Blick in die Röhre“?

    Mag ja sein, dass „ein Euro an Fraunhofer-Budget das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 21 Euro erhöht“. Aber wer profitiert von einem hohen BIP? Per Definition gibt das Bruttoinlandsprodukt den „Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen“ an, „die während eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte hergestellt wurden“ und zwar „nach Abzug aller Vorleistungen“. Je weniger „die Wirtschaft“ also investieren muss, um so höher fällt ihr Gewinn aus. Was auch nicht weiter schlimm wäre, wenn nicht „die Wirtschaft“ massive Probleme verursachen würde in ihrer ungebremsten Profitgier.

    Klimakollaps, Artensterben, Ressourcenraubbau, soziale Verwerfungen, Kriege - eine weitgehend deregulierte, sich selbst überlassene, an der falschen Stelle geförderte Wirtschaft wird unsere Gesellschaft schon sehr bald sehr viel mehr kosten, als irgendjemand bis heute auch nur berechnet hat. Sollte „die Wissenschaft“ dazu wirklich einen zusätzlichen Beitrag leisten? Wäre es nicht viel eher dringend geboten, gewisse Mindeststandards anzulegen an Forschung, Lehre und Entwicklung?

    Offenbar ist mit Appellen an die Moral ehrgeiziger, neugieriger Menschen allein nicht viel zu erreichen. Was gemacht werden kann, wird auch gemacht. Vor allem, wenn es dafür Geld gibt. Nicht nur Corona-Impfstoffe, auch Agent Orange und Glyphosat sind Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung. Das BIB allein ist also ein ganz schlechter Maßstab für den Wert wissenschaftlicher Arbeit. Und Freiheit ist kein Garant für Vernunft.

  • > Eine britische Untersuchung – erstellt vom Fraser of Allander Institute an der University of Strathclyde in Glasgow – habe diese Hebelwirkung bestätigt.

    Ich bezweifele, dass die britische Forschungspolitik mit ihrer knallhart neoliberalen Ausrichtung und aktuell Kürzungen in Milliardenhöhe da so ein leuchtendes Beispiel ist. Da werden zum Beispiel in Glasgow Mittel und auch Personal aus der weltweit spitzenmässigen Astronomie und Astrophysik in Mikrosatelliten-Startups umgeleitet.[1]

    Die sollen dann zehntausende von winzigen kurzlebigen Satelliten starten, die für kommerzielle Zwecke Daten sammeln. Zum Beispiel kann man Daten über den Zustand der Landwirtschaft (die auch mit SAR. (Synthetic Aperture Radar) -Technologie gewonnen werden können, dann zur Spekulation um Getreidepreise nutzen - die Satelliten können buchstäblich sehen, wie hoch das Korn auf dem Feld steht. Ahnliches z.B. für den aktuellen Handel und Reserven von Rohöl in den großen Tankern auf den Weltmeeren.

    Gleichzeitig haben wir dann gleich das nächste Umwelt- und Ressourcenproblem in der Erdumlaufbahn: Die Vielzahl der Satelliten müllt die Umlaufbahn zu, nach Ablauf der Lebensdauer kreisen die Mikrosatelliten da nämlich weiter, und es kommt zu Kollisionen bei 20000 km/h, die dann in einer Kettenreaktion zur Produktion zahlloser weiterer Splitter führen - dem sogenannten Kessler-Syndrom[2]. Wird das nicht gestoppt - und danach sieht es zur Zeit nicht aus - so wird die Menschheit auf diesem Feld taub und blind, z.b. können wir dann womöglich keine Wetterdaten von gefährlichen Stürmen mehr sammeln.

    Und das gerade zu einer Zeit, wo wir alles technologische Ressourcen brauchen, um nur unser pures Überleben zu sichern.

    [1] www.gov.uk/governm...stellation-service

    [2] en.wikipedia.org/wiki/Kessler_syndrome

    • Manfred Ronzheimer , Autor*in des Artikels,
      @jox:

      Danke für die Hinweise. Ich werde dem nachgehen. Der Autor

  • Als Hauptproblem sehe ich, dass die Wissenschaft immer abhängiger von Drittmitteln und der Industrie wird. Diese ganzen Konzepte zum "Technologietransfer" sind nur Vehikel, um das an Universitäten erarbeitete Wissen billig in die Patent-Portfolios von Industrieunternehmen zu überführen.

    Eine wirklich der Gesellschaft verpflichtete angewandte Forschung müsste von konkreten Fragestellungen ausgehen, und frei in deren Beantwortung sein, nicht mit dem Ziel einer Mittelverwertung z.B. in der Autoindustrie. Die ganze Buzzword-getriebene Forschungspolitik mit KI, Exzellenz, Bionik usw ist dagegen der Tod jedes kritischen und kreativen Denkens - und ist auch nicht attraktiv für gute Leute.

    Und das zweite Hauptproblem in der Forschung ist dass es keine stabilen Jobs und Job Security in der Wissenschaft gibt. Auch Wissenschaftler und hochintelligente neugierige Menschen wollen mal Kinder haben und ein Zuhause.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Wissenschaft hat sich schon einmal böse überrumpeln lassen - beim Carbon Capture & Storage. Das war europaweit bereits angelaufen, nur Greenpeace hat den Leuten, insb. den Politiker Angst gemacht. Seitdem sind die für mich erledigt.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Möglicherweise sind Sie da einer PR der Kohleindustrie aufgesessen.

      CCS Technologie ist seit Jahrzehnten umstritten und ein sicheres und effizientes Funktionieren konnte in all den Jahren trotz großer Bemühungen nicht nachgewiesen werden.

      Hier die Position der Scientists For Future:

      info-de.scientists...E2%80%9C-zu-machen

  • ...und wieder mal wird die Lehre an den Hochschulen mit keinem Wort erwähnt.