■ Offener Brief an den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft: Folter – ein Non-Wort
Lieber Herr Lutz,
ich schreibe Ihnen als Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP), mit deren Politik ich oft nicht einverstanden sein kann, der ich aber aus prinzipiellen Erwägungen die Treue halte. Manchmal erreicht das aber die Grenze des Erträglichen, so zum Beispiel Ihre jüngste Reaktion auf den Bericht von amnesty international, in dem es lautete: „Es gingen ai im Berichtszeitraum eine Reihe neuer Vorwürfe zu, denen zufolge Polizeibeamte in ihrem Gewahrsam befindliche Personen Folterungen oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt haben oder gegen rassistisch motivierte Übergriffe nicht hinreichend vorgegangen sind. Bei den Opfern handelte es sich mehrheitlich um Ausländer, unter ihnen Asylsuchende, sowie um Angehörige ethnischer Minderheiten.“
Sie, Herr Lutz, lassen in Ihrer GdP-Zeitung Deutsche Polizei (Nr. 1/1995) publizieren, daß sich ai mit obiger Formulierung „eindeutig im Ton vergriffen habe“. Auch fühlten Sie sich bemüßigt, an die in Magdeburg tagende Innenministerkonferenz (IMK) zu faxen: „Diese Formulierung ist geeignet, das Ansehen der Polizei in der Bundesrepublik zu schädigen.“
So einfach ist das: ai hat das Ansehen der Polizei in Mißkredit gebracht und nicht etwa Polizisten, die mißhandeln und foltern. Bemerkenswert, wie hier die Fakten auf den Kopf gestellt werden.
Ich wende mich an Sie auch als ehemaliger Kollege und Angehöriger der Kritischen Polizisten. Sie lassen in der Deutschen Polizei den IMK-Vorsitzenden Alwin Ziel zitieren, der „gerne der Bitte des GdP-Vorsitzenden gefolgt sei“, klarzustellen: „Jeder Verdachtsfall wird mit der gebotenen Sorgfalt untersucht und gegebenenfalls geahndet.“
Inwieweit diese Worthülsen des Innenministers von Brandenburg Sie überzeugen, sei dahingestellt. Mir als ehemaligem Insider bleiben zunächst einmal Zweifel, wie hoch die Chancen der Aufklärung von Amtsverbrechen angesichts von Gruppendruck, Kameraderie und Gesinnung einzuschätzen sind.
Mein Brief hat auch einen Bezug zu meiner BKA-Zeit. In der Funktion eines Sicherheitsberaters des Auswärtigen Amtes gehörte es über acht Jahre zu meinen Aufgaben, unter anderem in etwa 40 Folterregimen mit den Führungsspitzen der Sicherheitsbehörden „kollegialen“ Kontakt aufzunehmen. Ich weiß also bei diesem Thema, wovon ich rede. amnesty international zu zitieren wurde mir allerdings von der Amtsleitung des BKA schriftlich untersagt. Denen paßte auch der Ton nicht. Spätestens seit dieser Zeit ist mir klar, daß Folter im polizeilichen Sprachgebrauch ein Non-Wort darstellt. Ein unsichtbarer Radiergummi scheint es aus allen nationalen und internationalen Polizeiberichten zu tilgen. Und irgendein elektronischer Staubsauger scheint es auf allen Interpol- und Europol-Konferenzen zu schlucken und in ein schwarzes Loch zu befördern.
Der Begriff Folter berührt innerhalb der Polizei ein Tabu, und wie bei allen Tabus wird kräftig unter den Teppich gekehrt, werden Konflikte nicht gelöst, sondern möglichst totgeschwiegen. Wer gegen die Regeln verstößt, wird diffamiert. Um diesen Regelkreis zu durchbrechen, hielte ich es zumindest für geboten, daß die Definitionen geklärt und die vorliegenden Sachverhalte von der Polizei (sowie ihrer Gewerkschaft) darunter subsumiert werden.
Nach Artikel 1 des „Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ der Vereinten Nationen von 1984 ist Folter „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.“
Diese Kriterien sah das Internationale Sekretariat von ai in seinem Bericht über die Bundesrepublik in zwei Fällen als erfüllt an, die darüber hinausgehen, „nur“ Mißhandlungen zu sein (Schwere des zugefügten Schmerzes plus Vorsätzlichkeit der Handlung plus Diskriminierung aus rassistischer Motivation). Es sei hervorgehoben, daß der Bericht Einzelfälle zitiert, daß ai an keiner Stelle die Bundesrepublik als „Folterstaat“ bewertet und daß kein Urteil über die Polizei in ihrer Gesamtheit abgegeben wurde, was sich ai ohnehin versagt.
Ich schreibe Ihnen auch in meiner Eigenschaft als Gründungsmitglied des Arbeitskreises Polizei bei amnesty international, um dessen Unterstützung ich Sie bitte. Das ai- Prinzip „Keine Arbeit zum eigenen Land“ verbietet mir, auf Fälle wie Nguyen T., Oliver Neß, Yusef Barzna, Halim Dener oder Kola Bankole einzugehen. Sie als Gewerkschaftschef haben solche Schranken nicht zu beachten und sollten auf die Alarmsignale reagieren, um zum Beispiel von der Innnenministerkonferenz Menschenrechtserziehung als Pflichtfach in der polizeilichen Aus- und Fortbildung zu fordern. Oder obligatorisches Deeskalationstraining. Oder Unterricht über die Polizeigeschichte des Dritten Reiches (auch so ein Tabuthema). Überhaupt böte die Nazi-Zeit reichlich Anschauungsmaterial, wohin Fremdenhaß und Menschenverachtung bei der Polizei führen können.
Wenn Sie, lieber Herr Lutz, Ihre Macht als Gewerkschaftsführer den Gefahren des Machtmißbrauchs in der Polizei entgegensetzen würden, ohne nach den Mitgliederzahlen zu schielen, wäre viel gewonnen.
Herzlichst Dieter Schenk
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