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Folgen der FinanzkriseDie größte Pleitestadt der USA

Das kalifornische Stockton ist bankrott. Lange haben Stadträte einen Schuldenberg aufgehäuft. Dann holten sie sich Rat bei Lehman Brothers.

Die Stocktoner wollten eine sicherere Stadt. Heute registrieren Polizisten Einbrüche nur mit Tagen Verspätung. Bild: reuters

Es war der 28. Juni 2012, ein Donnerstag, als Stockton Insolvenz anmeldete. Die Ratingagentur Moody's stufte Anleihen der kalifornischen Kommune auf Caa3 herunter, zwei Stufen über Griechenland, eine unter Ecuador. Damit ist Stockton, 290.000 Einwohner, gelegen in einer reichen Gegend nicht weit vom Silicon Valley, eine Stadt mit Ramschstatus. Die größte Ramschstadt der USA.

In Stockton kann man einiges darüber lernen, wie die größte Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte zustande gekommen ist. Und wie ihre Folgen heute in den Alltag hineinschwappen. Es ist eine seltsame Allianz, die die Kommune in den Ruin getrieben hat. Ein Bündnis aus Stadtverwaltern, die Geld ausgaben, das Stockton nicht hatte, Gewerkschaften, die ihre Chance sahen, viel zu fordern, und Investmentbankern, die mit der Not der Stadt ein gutes Geschäft machten.

Dwane Milnes war mal Verwaltungschef von Stockton, City Manager. Er sitzt in seinem weinroten Wohnzimmersessel und sagt, dass er das alles erklären kann, was in seiner Stadt passierte. „Man muss sich in einer Zeitmaschine zurücktragen lassen, um die Stimmung damals zu verstehen“, sagt Milnes.

Als Dwane Milnes 1991 nach Stockton kommt, hat er zwei Probleme. Das Leben in der Stadt ist gefährlich. Und die Polizisten wollen mehr Geld. Milnes, der Verwaltungswissenschaften studiert hat und vorher ein ruhigeres 80.000-Einwohner-Städtchen managte, ist plötzlich für einen Ort verantwortlich, dessen Mordrate zu den höchsten in den USA zählt.

Er beginnt Verhandlungen mit der Polizeigewerkschaft. Sie ziehen sich ein Jahr. Weil Polizisten nicht streiken dürfen, melden sich alle krank. Grippe. Milnes flippt aus. Er ruft beim Gewerkschaftschef an und sagt ihm, dass er seine Leute zur Arbeit schicken soll, sonst werde er das für den Rest seines Lebens bereuen.

Bild: taz

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Am Ende handelt Milnes einen Vertrag aus, persönlich. Die Polizei bekommt mehr Geld. Das kostet, aber Milnes ist optimistisch, dass auch die Steuereinnahmen steigen werden, wenn Stockton bald ein sicherer Ort ist. Der Schuldenberg, der Stocktons Pleite verursachen wird, beginnt zu wachsen.

Etwa zur gleichen Zeit beschließt der Staat Kalifornien, Polizisten über 50 mit üppigen Renten in den Ruhestand zu locken. Die von den Städten bezahlten Polizisten verlangen ähnliche Regelungen. „Du willst doch nicht mehr, dass jemand mit 50 über einen Zaun klettert“, sagt Milnes. Er lässt den Stadtrat die Rentenansprüche erhöhen, Finanzverpflichtungen für Jahrzehnte. Aber Dwane Milnes bleibt optimistisch.

Anleihen klingt nicht nach Schulden

Die Stadt Stockton gab damals Anleihen heraus, um ihre Träume zu finanzieren. Für die Bauprojekte, das neue Stadion, aber auch für die Renten der Angestellten, Polizisten und Feuerwehrleute. Immer mehr Anleihen. Anleihen klingt nicht nach Schulden.

Das Wesen der Menschen eines Landes, sagt der Autor Michael Lewis, zeigt sich wenn man in einem Raum mit einem Haufen Geld eine Weile das Licht ausmacht. Michael Lewis, der früher Investmentbanker war, ist mittlerweile einer der besten Erklärer der Finanzkrise. Er hat für seine Bücher Pleitestaaten und Pleitestädte besucht, um das Fundament der Schuldenberge zu ergründen. Die Polizisten, die Feuerwehrleute in den kalifornischen Städten verdeutlichen seiner Ansicht nach, dass die Finanzschwierigkeiten das Zeugnis einer verkorksten Gesellschaft sind, in der Menschen nehmen, was sie kriegen können – weil sie es können.

In Stockton gibt es heute noch 323 Polizisten und nicht mehr 444 wie noch vor ein paar Jahren. Die Polizisten ermitteln bei Autodiebstahl nicht mehr, registrieren Einbrüche nur mit Tagen Verspätung. Zu Unfällen fahren sie nur, wenn jemand ins Krankenhaus muss.

Es ist die Folge der guten Zeiten, in denen kaum jemand daran dachte, dass all die Ausgaben irgendwann zurückgezahlt werden müssten. Die Zeit bevor alles zusammenbrach.

Es war nicht lange vor dem Crash, die Gemeindevertreter wussten langsam nicht mehr weiter, da kamen zwei Berater der Bank Lehman Brothers nach Stockton. Sie schlugen mit einer Powerpoint-Präsentation in Waldgrün und Orange eines dieser Geschäfte vor, die die Finanzkrise ausgelöst haben.

Die Stocktoner entschieden sich ein letztes Mal für den Optimismus.

Wie genau die Lehman-Banker alles noch viel schlimmer machten, warum eine Finanzfirma auf den Bermuda-Inseln jetzt die Renten in Stockton streichen lassen will und wie es in der größten Pleitestadt heute aussieht, erzählt die Ganze Geschichte „Die Stadt, die nicht mehr kann“ in der sonntaz vom 22./23. September.

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1 Kommentar

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  • AA
    Augen auf!

    Ist doch immer wieder bemerkenswert, wie die taz die Schilderung eines Problems in einem fernen Land an die Leser weiterreichten. Und mit keinem Wort wird erwähnt, daß wir hier in Deutschland doch mittlerweile die gleiche Situation finden können. Gut, dafür müßte man recherchieren und das ist natürlich wesentlich aufwändigter als die Zusammenfassung eines Buches anzudrucken, für die dann auch noch Geld fließt.

     

    Es gibt keinen Grund, ein Buch über die Situation in einer kalif. Stadt zu lesen, geschweige denn zu kaufen, solange es hier in diesem Land genügend ähnliche Fälle zu beleuchten gäbe.

     

    Aprops verkaufen: Laut Pressecodex ist Werbung als solche zu kennzeichnen. Und was anderes als Werbung für ein bestimmtes Buch ist dieser Artikel?

    Ach so, der Pressekodex gilt nicht für die taz.

     

    Die Medien nehmen für sich immer Sonderrechte in Anspruch. Wie sind die denn gerechtfertigt? In dem man sich mit der Politik ins Bett legt und schleunigst die Augen bei hiesigen Problemen verschließt?