■ Querspalte: Fluten aus dem Osten
Wir wußten es schon immer: Alles Böse kommt aus dem Osten. Dazu brauchen wir gar nicht mehr mit vor Schreck geweiteten Augen in Richtung Roter Platz zu blicken. Nein, es genügt schon, direkt vor unserer eigenen Haustür zu kehren beziehungsweise seit neuestem zu wischen. Was TV-Master Harald Schmidt seinem begeisterten Publikum seinerzeit noch camouflierend als Witz verkaufte – „Was ist ein Pole mit abgehackten Händen? Ein Mann des Vertrauens!“ –, hat Niedersachens Oberguru und möglicherweise nächster SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder endlich ganz offen auszusprechen gewagt: Die Polen klauen, mit Vorliebe unsere schönen deutschen Autos, die sie dann kaltblütig über die Grenze verschieben.
Doch auch Schröder hat sich mal wieder um die ganze Wahrheit herumgedrückt. Denn es ist ja alles noch viel schlimmer. Nicht nur Autoschieber, Dealer und Prostituierte schwappen unaufhörlich ins deutsche Land, jetzt wollen die Polen uns Deutschen auch noch mit (Natur-)Gewalt zwar nicht das Wasser, dafür aber heimtückisch Dörfer und Städte abgraben.
Das ist also der Dank dafür, daß sich Bundeskanzler Helmut Kohl für die polnischen Freunde mit seinem ganzen Gewicht in die Nato- und EU-Waagschale geworfen hat. Anstatt jetzt, da doch alle Freunde geworden sind, so richtig aus dem vollen zu schöpfen, müssen die armen Menschen diesseits der Grenze mit den Fluten von Oder und Neiße kämpfen und sehen außer ihren Fellen auch noch Häuser und Gehöfte wegschwimmen. Schröder und all die anderen haben recht. So war das mit den durchlässigen Grenzen zum Osten Europas nicht gemeint. Nachdem jetzt zumindest die Dämme schon verbal gebrochen sind, laßt uns nicht darauf warten, daß die Deiche und Schutzwälle aus Sandsäcken, die Soldaten in unermütlichem Einsatz für das Vaterland aufschichten, auch noch hinweggeschwemmt werden. Eine Mauer muß wieder her. Wasserdicht muß sie diesmal sein. Barbara Oertel
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