Flussumleitung in Brasilien: Lula erzielt zweifelhaften Sieg
Brasiliens Präsident drückt gegen einstige Mitstreiter eine umstrittene Flussumleitung durch. Derweil fiel ein Bischof, der gegen das Projekt mit Hungerstreik protestierte, ins Koma.
PORTO ALEGRE taz Roberto Liebgott zieht ein bitteres Fazit. "Präsident Lula hat sich selbst eine politische Niederlage zugefügt", sagt der stellvertretende Vorsitzende des brasilianischen Indianermissionsrates Cimi. "Ein großer Sieg ist das allerdings für die Oligarchie aus dem Nordosten, mit der er sich verbündet hat."
Vorgestern nämlich billigte das Oberste Bundesgericht in Brasília mit sechs zu drei Stimmen die Flussumleitung des Rio São Francisco, eines von mehreren umstrittenen Großprojekten der Regierung. Kurz darauf, am 23. Tag seines Hungerstreiks, verlor Bischof Luiz Flávio Cappio in Sobradinho, im trockenen Landesinneren des Bundesstaates Bahia, das Bewusstsein. Etwa zeitgleich ordnete Lula an, die Schlichtungsgespräche mit den katholischen Bischöfen und einem Vertrauten des Franziskaners über die umstrittene Flussumleitung abzubrechen.
Abends wurde der 61-Jährige Bischof in ein Krankenhaus eingeliefert. Das Bild, wie er in seiner braunen Franziskanerkutte auf einer Bahre nach Petrolina im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco abtransportiert wird, erschütterte Millionen. Langjährige Mitstreiter Lulas, der selbst aus Pernambuco stammt, sind entsetzt.
Zwölf Millionen Menschen in vier Bundesstaaten des Nordostens will die Regierung angeblich mit dem Wasser versorgen, das über zwei Kanäle von 720 Kilometer Länge vom "Velho Chico" abgezweigt würde. Profitieren würden vielmehr große Bauunternehmen, Bewässerungsfirmen, Stahlschmelzen, Krabbenzüchter und das exportorientierte Agrobusiness, sagen die Kritiker voraus. Kleinbauern und Indigene würden von den Bauarbeiten verdrängt.
Cappio hatte sich bereits 2005 mit einem Hungerstreik gegen das Projekt gewandt. Damals lenkte er nach elf Tagen ein, nachdem die Regierung eine breite Debatte über das Für und Wider des milliardenschweren Vorhabens versprochen hatte. Geplant sind zwei Wasserkraftwerke, acht Tunnel, neun Pumpstationen, 27 Aquädukte und 35 Staubecken. Die Basisorganisationen plädieren für unspektakuläre, aber umso wirkungsvollere Kleinprojekte wie den Bau von Zisternen. Oder die "Wiederbelebung" des 2.700 Kilometer langen, stark verschmutzten Flusses durch den Bau von Kläranlagen oder Wiederaufforstung in den Quellgebieten.
Doch die Regierung wich der Debatte aus. Im Wahlkampf vor seiner Wiederwahl 2006 brachte Lula sogar das Kunststück fertig, am gleichen Tag öffentlich für und gegen die Flussumleitung einzutreten. Nun attackierten seine Minister den Bischof als Fundamentalisten und Feind der Demokratie. Cappio konterte kühl: "Lebten wir in einer echten Demokratie, müsste ich nicht das tun, was ich tue", sagte der Bischof.
"Die Medien waren diesmal auffällig zurückhaltend bis regierungsfreundlich", sagt Thomas Bauer. Als Koordinator der katholischen Landpastoral in Bahia steht der Österreicher ständig in Kontakt mit Cappio. Die gezielt verbreiteten Meldungen über ein Ende des Hungerstreiks kämen verfrüht, sagte Bauer gegenüber der taz gestern Nachmittag. Der Bischof habe das Krankenhaus verlassen und werde jetzt mit den Basisorganisationen über das weitere Vorgehen abstimmen.
Indígena-Aktivist Roberto Liebgott hat nur noch wenig Hoffnung: "Es wird eine bittere Weihnacht." Sein Kollege Paulo Maldos meinte gar: "Wenn Dom Cappio stirbt, bedeutet das den politischen Tod Lulas."
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