Flugzeugkatastrophe von Smolensk: Polens Verteidigungsminister gibt auf
Bogdan Klich tritt nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts zum Absturz der Präsidentenmaschine 2010 zurück. Die Armeereform sei gescheitert.
WARSCHAU taz | "Verteidigungsminister Bogdan Klich bot mir bereits kurz nach dem Absturz der Präsidentenmaschine seinen Rücktritt an. Heute habe ich ihn angenommen", sagte Polens Premier Donald Tusk am Freitag in Warschau.
Stunden zuvor hatte Innenminister Jerzy Miller das Ergebnis der Untersuchungskommission zur Flugzeugkatastrophe am 10. April 2010 in Smolensk vorgestellt. Demnach liegt die Hauptschuld für den Absturz, bei dem neben Polens Präsidenten weitere 95 Menschen ums Leben kamen, auf polnischer Seite. Die Piloten seien schlecht ausgebildet und ohne größere Erfahrung gewesen. Klich übernehme mit seinem Rücktritt nicht die Verantwortung für den Unfall, so Tusk. Vielmehr ziehe er die Konsequenz aus der Nichteinführung der Armee-Reformen, die den Unfall möglicherweise hätten verhindern können.
"Die Piloten des Unglücksflugs nach Smolensk waren keine Selbstmörder", stellte zuvor Polens Innenminister Jerzy Miller fest. "Aber als der Kapitän den Befehl zum Abdrehen gab, war das Flugzeit bereits viel zu tief. In 15 Meter Höhe krachte es mit 280 Stundenkilometer gegen eine Birke und stürzte dann ab". Die Hauptschuld am Flugzeugabsturz der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010 mit insgesamt 96 Menschen an Bord liege auf polnischer Seite, bekannte Miller und bestätigte damit zum großen Teil das Ergebnis der zwischenstaatlichen Luftfahrtbehörde MAK in Moskau, die ihren Bericht Anfang des Jahres vorgestellt hatte.
"Es gab keinen direkten Druck auf die Piloten", so Miller. Allerdings habe "der Disponent des Fluges leider keinen Ausweichflughafen" benannt. Mit dem "Disponenten" ist Präsident Lech Kaczynski gemeint, der bei dem Flug ebenfalls ums Leben kam. Der Protokollchef des Präsidenten pendelte zwischen Cockpit und Präsidenten. Er teilte Kaczynski mit, dass der dichte Nebel eine Landung in Smolensk unmöglich mache. Doch der Präsident gab keine Anweisung, den Flughafen in Minsk oder Moskau anzufliegen oder nach Warschau zurückzukehren.
Vielmehr kam General Andrzej Blasik, der Kommandant der Polnischen Luftwaffe und direkte Vorgesetzte der Piloten, ins Cockpit. Die Piloten entschieden daraufhin trotz der schlechten Sicht auf 100 Meter runter zu gehen, um dann guten Gewissens und entsprechend der Militärvorschriften abdrehen zu können. Hier reihte sich dann allerdings Fehler an Fehler.
Der Navigator las den falschen Höhenmesser ab, der nicht die Höhe zur Landebahn, sondern zum Boden maß. Da das Flugzeug ein Tal überflog, musste der Kapitän denken, dass das Flugzeug noch viel zu hoch war und forcierte den Sinkflug. In einer Höhe von – wie er glaubte – 100 Meter – gab er dann die Anweisung: “Wir drehen ab“ und drückte den entsprechenden Hebel des Autopiloten.
Es dauerte fünf Sekunden, bis beiden Piloten klar wurde, dass das System nicht reagierte und sie das Flugzeug selbst hochziehen mussten. "Wären die Piloten richtig ausgebildet gewesen, hätten sie gewusst, dass der Autopilot nur in Zusammenarbeit mit einem Leitsystem auf dem Flughafen funktionieren kann", so Miller. Der Flughafen in Smolensk aber war ein militärischer, der selbst für russische Verhältnisse schlecht ausgestattet war.
Er besaß kein Leitsystem, was die Piloten hätten wissen müssen. Der Flugkapitän war bislang fast ausschließlich auf gut ausgestatteten Zivilflughäfen gelandet. "Für den Flug zum Militärflughafen Smolensk hatte er keine Zulassung", so Miller. "Ebenso wenig der zweite Pilot". Fehler hätten aber auch die Fluglotsen in Smolensk gemacht. Sie hätten zwar mehrfach vor dem dichten Nebel gewarnt, doch den Piloten bestätigt, auf dem richtigen Kurs zum Landeanflug zu sein. In Wirklichkeit flog die Maschine aber zunächst 100 Meter über und 40 Meter neben der Ideallinie.
Die Kommission konnte nicht feststellen, ob die Fluglotsen diese Falschinformation gaben, weil ihr Radar nicht richtig arbeitete, oder weil der Lotse den Radar dort nicht richtig bedienen und lesen konnte. Zudem sei der Flughafen schlecht beleuchtet gewesen. Die polnische Seite habe der russischen vertraut, dass der vor einem halben Jahr geschlossene Flughafen wieder voll funktionsfähig sei, so dass sie ihn weder vor dem Abflug des polnischen Premiers am 7. April inspiziert hätten noch vor dem Abflug des polnischen Präsidenten am 10. April 2010.
Polens rechtsnationale Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PIS) bezeichnete den polnischen Untersuchungsbericht als "eine einzige Lüge". Nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Klich bedauerte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, dass nicht auch Premier Donald Tusk zurückgetreten sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut