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FluglärmSchlaflos in Schönefeld

Gutachten von Juli erlaubt bis zu 95 Nachtflüge auf dem neuen BBI-Flughafen. Die brandenburgische Regierung veröffentlicht das Papier lieber erst jetzt. Es war schlecht für die Wahl.

Wird es bald so über dem Nachthimmel von Schönefeld aussehen? Bild: ap

Heute Morgen um 4.40 Uhr: Ein Jet startet in Schönefeld. Das Ziel heißt Palma de Mallorca. Für die Anwohner am zukünftigen Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) ist spätestens jetzt die Nacht zu Ende. Lange vertrauten sie auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2006, das auf dem BBI Flüge zwischen 22 und 6 Uhr verbietet. Nun gibt es ein böses Erwachen: Ein Gutachten, erst jetzt veröffentlicht, erlaubt bis zu 95 Flüge pro Nacht.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2006 geurteilt, dass für den künftigen BBI im Kernbereich von 0 bis 5 Uhr ein absolutes Flugverbot herrschen muss. In den Randzeiten dürfe es nur Ausnahmen geben, wenn die Flieger in Berlin gewartet werden oder hier ihre Basis haben - aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, wenn die Flugzeuge also ohne späten oder frühen Dienst nicht lukrativ genug wären. Nach dem Gutachten, das das brandenburgische Infrastrukturministerium unter Reinhold Dellmann (SPD) in Auftrag gegeben hat, sollen nun aber doch rund 71 Flüge pro Nacht Normalität sein - in Spitzenzeiten sogar bis zu 95. Von den 71 Fliegern würden 40 zwischen 22 und 23 Uhr starten und landen, 17 zwischen 23 und 24 Uhr. Zwischen Mitternacht und 5 Uhr seien 4 Flieger am Himmel "unabweisbar", und von 5 und 6 Uhr weitere 10.

Das Papier lag dem Ministerium schon im Juli vor, wie eine Sprecherin der tazbestätigte. Den Inhalt hatte am Montag erstmalig die Berliner Morgenpost publik gemacht. Kritiker befürchten, dass das Gutachten ausschlaggebend sein wird für den Planfeststellungsbeschluss, mit dem die Verwaltung die Regeln für den Flughafen festlegt. Kristian-Peter Stange von der Anwohnerinitiative Bürgerverein Berlin-Brandenburg warnt: "Bis Mitternacht wird dann volle Pulle geflogen." Im Gutachten sei allein der Bedarf der Fluglinien aufgeschrieben worden. Der liegt laut einem Sprecher der Flughafengesellschaft bei 87 Flugzeugen in den Randzeiten: "Wir sind für einen möglichst weitreichenden Flugbetrieb, was auch vom Urteil gedeckt ist."

Kritik kommt allerdings nicht nur von den Anwohnern. Der Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen, Axel Vogel, klagt, dass "das Gutachten offensichtlich Schützenhilfe geben soll, um den von den Airlines gemeldeten Nachtflug-Bedarf gegen den Willen der Anrainer durchzudrücken." Vogel kritisierte auch die späte Veröffentlichung des Gutachtens: "Es sollte vor den Landtagswahlen offenbar kein Thema werden."

Das Infrastrukturministerium verweist darauf, dass das Papier bereits vor Wochen an Verfahrensbeteiligte übersandt worden ist. Auch Herbert Burmeister (Linkspartei), Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Umlandgemeinden Flughafen Schönefeld, hat es im August erhalten. Der Bürgermeister von Schulzendorf, einer Nachbargemeinde von Schönefeld, hält das Gutachten zwar für "völlig unsinnig". Für den Wahlkampf sei es jedoch nicht geeignet gewesen, da landespolitisch der BBI auch in seiner Partei kein Thema gewesen sei.

In den aktuellen Sondierungsgesprächen zwischen Linkspartei und SPD in Potsdam werden die Nachtflieger tatsächlich keine Rolle spielen, bestätigt Anita Tack. Die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag erfuhr erst am Montag aus der Zeitung, dass das Gutachten öffentlich ist. Wie es in Planfeststellungsverfahren üblich sei, werde der Streit über die Fliegerzahl in den Randzeiten von der Verwaltung gelöst, nicht von Politikern. "Das Urteil muss jedoch eingehalten werden", sagte Tack, die davon ausgeht, dass der fertige Planfeststellungsbeschluss schon in den Schubladen des Ministeriums liegt, jedoch erst nach der Wahl veröffentlicht werden sollte. "Die Landesregierung hat gekniffen", so Tack.

Laut Ministerium befindet sich der Beschluss "in der Endbearbeitung". Ein Termin könne nicht genannt werden. Sollte der Beschluss dem Gutachten ähneln, haben Anwohnerinitiativen bereits Klagen angekündigt.

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