Flughafen-Debakel ohne Ende: Opposition will durchblicken
Grüne, Piraten und Linkspartei bereiten nach stundenlanger Flughafen-Aufsichtsratssitzung Untersuchungsausschuss vor: Mehr Fragen seien offen als geklärt.
Jetzt macht die Opposition Druck: Nach einer neunstündigen, ziemlich ergebnislosen Sitzung des Aufsichtsrats zum Großflughafen in Schönefeld forcieren Grüne, Linkspartei und Piraten ihre Pläne für einen Untersuchungsausschuss.
„Die Sitzung hat mehr Fragen geschaffen als geklärt“, so Piraten und Grüne unisono. So sei immer noch unklar, ob der neue Eröffnungstermin am 17. März 2013 zu halten ist und wie die inzwischen bis zu 1,1 Milliarden Euro Mehrkosten einzudämmen sind. Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop sagte, es sei ein „Armutszeugnis“, dass dies auch nach der Sitzung am Freitag offen geblieben sei. „Offensichtlich haben Geschäftsführung und Klaus Wowereit das Projekt nicht im Griff“, so Pop. „Ab heute gilt Wegducken nicht mehr.“
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Brandenburger Amtskollege Matthias Platzeck (SPD) hatten als Aufsichtsratsmitglieder am Freitagabend erklärt, den März-Termin bis zur nächsten Ausschusssitzung im August nochmals prüfen zu wollen. Dafür soll Neu-Chefplaner Horst Amann, bisher Bauleiter der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport, tausende Planungsakten sichten.
Nicht nur zu Luft, nun auch unterirdisch: Am Donnerstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über Lärmschutz beim U-Bahn-Bau im Berliner Zentrum. Geklagt haben drei Anrainer der Friedrichstraße, die sich nur unzureichend vor dem Baulärm und Staub am künftigen U-Bahnhof "Unter den Linden" geschützt sehen.
Aus Sicht der Berliner Behörden ist der Bahnhofsbau durch das Verfahren nicht gefährdet. Er könnte aber durch zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen und Entschädigungen verteuert werden, falls sich die Kläger durchsetzen. Vor Gericht gezogen waren das 400-Zimmer-Hotel Westin Grand sowie die Büro- und Geschäftskomplexe Lindencorso und Rosmarin-Karree an der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden. Hier werden Bauarbeiter für den Bahnhof eine 25 Meter tiefe Baugrube ausheben.
Vom kommenden Sonntag bis Herbst 2013 wird deshalb die Nord-Süd-Linie U6 zwischen den Stationen Friedrichstraße und Französische Straße unterbrochen. Für Autos werden zudem Teile der Friedrichstraße für ein Jahr und die südliche Fahrbahn des Boulevards Unter den Linden für 14 Monate gesperrt.
An der neuen U-Bahn-Station "Unter den Linden" werden sich in einigen Jahren die Linien U5 und U6 kreuzen. Der Bahnhof gehört zu einem der größten Berliner Bauvorhaben: Die 2,2 Kilometer lange Tunnelstrecke soll vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor führen, wo der Anschluss zum Hauptbahnhof bereits in Betrieb ist. Das Projekt soll mehr als 430 Millionen Euro kosten und 2019 fertig sein.
Die Kläger fordern mehr Lärmschutzwände und geräuscharme Baugeräte. Die BVG hält die Ansprüche für unbegründet. Sprecherin Petra Reetz hatte schon vor Monaten die Einschätzung vertreten, dass der Baulärm geringer ausfallen werde als der heutige Verkehrslärm an der viel befahrenen Straßenkreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden. (dpa)
Bei den Mehrkosten sprach Flughafenchef Rainer Schwarz am Freitag von vorerst 586 Millionen Euro durch die verspätete Eröffnung. Dazu kämen laut Wowereit 591 Millionen Euro für die strikten Lärmschutzmaßnahmen, die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Mitte Juni festlegte. Wowereit kündigte an, dagegen juristisch vorzugehen.
Das Gericht hatte entschieden, dass Anwohner in geschlossenen Räumen keinen Fluglärm lauter als 55 Dezibel ertragen müssten; der Flughafenbetreiber stehe dafür in der Verantwortung. Wowereit kritisierte dies als „deutschlandweit einmalig“. Nur: Genau diesen Grenzwert hatte die Flughafengesellschaft zu Beginn ihrer Bauplanung festgelegt. Zuletzt jedoch vertrat sie den Standpunkt, der Wert dürfe, so wie nachts, bis zu sechsmal täglich überschritten werden.
Pirat Martin Delius nannte die Klage „einen falschen Weg“. Die gerichtlich eingeforderte Schallgrenze sei „von Anfang geplant gewesen und hätte längst umgesetzt werden müssen“. Der Grüne Stefan Gelbhaar stützte ebenso das Gerichtsurteil: „Ein moderner Flughafen heißt auch Lärmschutz und braucht die Akzeptanz der Anwohner.“ Auch in der SPD mehren sich kritische Töne. Verkehrsexperte Ole Kreins betonte am Sonntag den Rechtsanspruch der Anwohner auf Ruhe.
Die Opposition treibt nun ihren Untersuchungsausschuss voran. Im Juli soll es dafür ein Treffen von Grünen, Piraten und Linkspartei geben. Man werde über den Sommer einen „ausführlichen Fragenkatalog erarbeiten“, so der Grüne Gelbhaar. Nach dem Versagen des Aufsichtsrats, so Pirat Delius, sei der Untersuchungsausschuss „die einzige Möglichkeit, den Flughafen und Senat unter eine parlamentarische Kontrolle zu stellen“. Das Planungsfiasko und die Mehrkosten würden das Land „noch Jahre beschäftigen“.
Der Ausschuss soll in der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause, am 30. August, eingesetzt werden. Den Vorsitz werden die Piraten erhalten, die Leitung Delius – denn der Partei steht turnusgemäß im Parlament die nächste Ausschussleitung zu. Delius hatte letzte Woche eigens für die Vorbereitung auf den Ausschuss sein Amt als parlamentarischer Geschäftsführer der Piraten niedergelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind