piwik no script img

„Flügelübergreifend in die Bedeutungslosigkeit“

Am Wochenende tagte die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Schleswig-Holstein / Übliches Gezerre um Listenplätze / Angst vor dem Abtauchen in die politische Bedeutungslosigkeit / Keine Prominenz auf den Listenplätzen  ■ Von Tom Jansen

Bad Oldesloe (taz) – „Wir Fundis haben doch nicht durchgezockt,sondern einen Kompromiß geschlossen. Wir brauchen dich und Strömungsvielfalt auf der Liste. Bitte kandidiere.“ Derart eindringlich appellierten am späten Samstag abend die fundamentalistischen Sieger auf der schleswig- holsteinischen Landesdelegiertenkonferenz der Grünen an ihre unterlegene Mitte und Realo- Minderheit, so sagte einer ihrer Sprecher auf den Fluren der Bad Oldesloer Realschule, dienicht bereit waren, „diesem Fundi- Durchmarsch ihre Strömungslegitimität zu geben“.

Damit zeigte sich die grüne Partei Schleswig-Holsteins vor der Landtagswahl am 8.Mai zerstritten wie nie zuvor. Nach dem immer noch nicht verarbeiteten Schock der Wahlniederlage vom 13.September 1987, in der die Nord-Ökos mit 3,9Prozent den erhofften Einzug ins Landeshaus an der Kieler Förde deutlich verfehlten, tauchte die Partei ausgerechnet in den Aufgeregtheiten der Barschel-Affäre in der Öffentlichkeit so gut wie unter. Zwar wurde dann im November in Norderstedt beschlossen, die bisherige Linie der Tolerierung vorsichtig in Richtung Koalition zu öffnen, aber öffentlichkeitswirksam wurde das nicht. Zu sehr schienen die Flügel darauf erpicht, sich gegenseitig zu neutralisieren, und mit der verschämten Koalitionsaussage so etwas wie einen Vorwahlkampf einzuleiten.

In der Öffentlichkeit hieß es bald nur noch: „Grüne, gibt es die auch noch?“, und an grünen Stammtischen wurde spekuliert, ob die Partei denn bei der Neuwahl 2 oder 2,5 Prozent erhalte. Aus dieser Misere heraus versuchten die Realos zuerst die Offensive. Eine klare Koalitionsaussage für die SPD, Thea Bock und Otto Schily als Ministerkandidaten war ihre Parole. Das löste bei der Parteimitte und am fundamentalistischen linken Rand heftige Aktivitäten aus. Die alte, linke Aversion gegen einen personenbezogenen Wahlkampf feierte fröhliche Urständ, und ein paar Tage vor der Delegiertenkonferenz schrieb der Landesvorstand sogar einen Brief an Otto Schily und Thea Bock doch bitte nicht zu kandidieren. Eine klare Präjudizierung der Entscheidung der Landesdelegiertenkonferenz. Doch selbst in Kiel, der Realo-Hochburg, fiel der Bock/Schily-Antrag schon im Vorfeld durch, und die Realos verzichteten daher, „um Thea und Otto mit 10 Prozent zu demontieren“, wie ein Sprecher erläuterte. Nun ging es den Realos nur noch darum, eine eindeutige Koalitionsaussage zu formulieren.

Doch auch diesen Rückzug wollte die fundamentalistische Mehrheit nicht gelten lassen. Ihr Antrag stellte die Koalitionsaussage in den Hintergrund, und betonte dagegen zu erarbeitende programmatische Aussagen, auf die sich die SPD dann beziehen müsse. Ein Versuch der Mitte, Teile des Realo-Antrages in den Fundi-Antrag einzubringen, wurde mit 90:50 Stimmen abgebügelt. Besonders die Mitte, die im Landesvorstand dominiert und die sich bei der Vorbereitung mit den Fundis zusammentat, um es über die Bock/Schilly-Kanidatur nicht zu innerparteilichen Zerreißprobe kommen zu lassen, zeigte sich entsetzt, enttäuscht und demoralisiert und kündigte ebenfalls an, keine Kandidaten aufstellen zu lassen.

Die Verweigerungsstrategie wurde dann nicht nur von den Fundis, sondern auch aus dem Realo- und Mitte-Lager von einzelnen Vertretern gegeißelt. So entspann sich eine heftige Diskussion um die bereits erwähnte Ablehnung des Neumünsteraner Lehrers Horst Mühlenhardt auf Platz 2 der Landesliste zu kandidieren. Die Fundi-Kandidatin für Platz 1, Tamara Tschikowana, grüne Ratsfrau in Deutschlands nördlichster Stadt Flensburg, beschwor emphatisch, daß sie sich eine Zusammenarbeit mit dem erklärten Realo Mühlenhardt sehr gut vorstellen könne. Die oft heuchlerische Beschwörung der Strömungsvielfalt, die sich doch auch durch Inpflichtnahme auf der Landesliste wiederfinden müßte, konnte kaum verdecken, daß Realos und Mitte-Vertreter hier nur exerzierten, was die Fundis bereits ankündeten, falls die Schily/Bock-Version durchkommen würde. So verweigerte z.B. die ganze Landesarbeitsgemeinschaft Frauen vorweg eine Kandidatur. Die weiblichen und männlichen Delegierten jedenfalls ließen die Appelle zur Einhaltung und Tröstung „man muß ja auch einmal verlieren können“ relativ routiniert an sich abgleiten. Doch schließlich siegte die Parteidisziplin: Realo Horst Mühlenhardt ging auf Platz 2 und Jutta Hansen vom Mittelblock auf Platz 3 der Landesliste. Kommentar eines Realos: „Flügelübergreifend in die Bedeutungslosigkeit.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen