Flüchtlingsunterbringung contra Naturschutz: Anwohner fürchten um Idylle

Der Bezirk Hamburg-Mitte legt Standort für 800 Wohnungen für Flüchtlinge fest: Flächen am Öjendorfer See bekommen den Zuschlag.

Da sollen die Flüchtlinge hin: Öjendorfer See. Foto: Ihurbie/Wikimedia

HAMBURG taz | Mit rot-rot-grüner Mehrheit hat die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte am Dienstagabend eine Großsiedlung für 3.000 Flüchtlinge am Öjendorfer See in Billstedt beschlossen. 2016 soll sie nach vereinfachtem Baurecht aus dem Boden gestampft werden. CDU und AfD lehnten die Pläne ab. Viele AnwohnerInnen halten das Projekt für überdimensioniert, sie fürchten um den Wert ihrer Grundstücke und kritisieren die Zubetonierung eines ihrer letzten Naherholungsgebiete. Zwei Bürgerinitiativen drohen mit einer Klage gegen die Bebauung.

Auch die Regierungsfraktionen machten am Dienstag deutlich, dass ihr Antrag Resultat eines Ausnahmezustandes ist. Als „sehr problematisch“, empfand SPD-Fraktionschef Falko Drossmann die Bebauung, und der Grünen-Abgeordnete Lothar Knode betonte, „dass wir einer solchen Bebauung innerstädtischer Grünflächen vor ein paar Jahren niemals zugestimmt“ hätten. Das sei „ein schwerer Weg“, fand auch der grüne Fraktionschef Michael Osterburg. „Die beiden Flächen in Öjendorf sind konkurrenzlos“, meinte hingegen Bezirksamtsleiter Andy Grote und brachte damit das zentrale Argument der Koalitionäre auf den Punkt.

Mit der Entscheidung kommt die Koalition in Mitte der Aufforderung des Senats an alle Bezirke nach, große Freiflächen für den zügigen Bau von jeweils 800 Wohnungen für die Folgeunterbringung von 3.000 Flüchtlingen zu benennen. Bei den zwei Flächen handelt es sich um ein landwirtschaftlich genutztes, etwa 20 Hektar großes, sich an den Öjendorfer Park anschmiegendes Areal am Haßlohredder und ein acht Hektar großes Gebiet am Haferblöcken. Dieses liegt direkt an einem Eigenheim-Neubaugebiet und grenzt an den Öjendorfer See. Besonders die Bewohner des Neubaugebietes befürchten nun einen Wertverlust ihrer Häuser. „Statt einem Naherholungsgebiet haben wir nun bald ein Ghetto vor der Haustür“, klagte eine der Anwohnerinnen.

Auch für die CDU ist das Neubaugebiet „der falsche Weg“. Sie forderte „kleinteilige Standorte der Flüchtlingsunterbringung“. Eine Forderung, die von den SPD-Abgeordneten mit hämischen „Wo? Wo?“-Rufen kommentiert wurde. Bezirkschef Andy Grote (SPD) konterte: „Dezentrale Unterkünfte hätten wir alle gern – nur können wir in ihnen nicht einen Bruchteil der Flüchtlinge unterbringen, die wir unterbringen müssen.“

Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter Mitte

„Dezentrale Unterkünfte hätten wir alle gern, nur lösen sie das Problem nicht“

Durch die geplante Flüchtlingssiedlung werde Billstedt, wo heute schon rund 2.000 Flüchtlinge leben, „stärker belastet als jeder andere Stadtteil“, warnt die CDU. „Die Situation ist außer Kontrolle geraten“, sagte ihr Fraktionsvize Carsten Rhode am Dienstag. Schon heute hätten 50 Prozent aller Billstedter einen Migrationshintergrund. Käme die geplante Bebauung, würde „jeder zehnte Stadtteilbewohner in öffentlicher Unterbringung“ leben.

„Sie verschließen die Augen vor der Wirklichkeit und schaffen mit ihrem Antrag Scheinrealitäten“, verteidigte der Abgeordnete Carl- Philipp Schöpe den SPD-Antrag. Die Bezirks-SPD will die AnwohnerInnen in zahlreichen Workshops an der konkreten Gestaltung der Bebauung beteiligen, die zwei bis vier Stockwerke aufweisen soll. Sie bindet ihre Zustimmung zur Großbebauung aber auch an 370.000 Euro jährlich von der Stadt für soziale Infrastruktur, um damit Kinderbetreuung, Sozialberatung und Sprachförderung zu finanzieren.

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