Flüchtlingspolitik: Ein erster Schritt zum sicheren Hafen
Schleswig-Holstein soll künftig regelmäßig Flüchtlinge auch außerhalb des Asylverfahrens aufnehmen, fordern Grüne, Sozialverbände und Flüchtlingshelfer. Die Chancen stehen nicht schlecht.
Der Landtag von Schleswig-Holstein beschließt in der kommenden Woche darüber, ob das Land künftig regelmäßig Flüchtlinge aufnehmen will. Die Chancen dafür stehen gut: Einem Antrag der Grünen-Fraktion haben SPD und FDP im Innen- und Rechtsausschuss zugestimmt. "Ich denke, dass wir damit nächsten Mittwoch oder Donnerstag durchkommen", sagt der scheidende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karl-Martin Hentschel. Die dänische Minderheitspartei SSW stehe auch hinter dem Antrag, die CDU hat ihn abgelehnt.
Hintergrund des Antrags ist das so genannte Resettlement-Programm, das vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) entworfen wurde. Resettlement heißt, dass sich schutzbedürftige Flüchtlinge in einem sicheren Drittland neu ansiedeln können. Deutschland soll sich dafür engagieren, aktiv Flüchtlinge aufzunehmen. Das bedeutet, dass ihnen angeboten wird, dauerhaft in Deutschland zu bleiben und sie nicht nur notdürftig und für eine kurze Zeit versorgt werden. Das Resettlement-Programm läuft unabhängig vom Asylverfahren und ist für so genannte De-Facto-Flüchtlinge gedacht, die in ihrem derzeitigen Aufnahmeland nicht dauerhaft bleiben können.
Im Dezember vergangenen Jahres haben die Innenminister der Länder und des Bundes bereits eine einmalige Aktion beschlossen: 2.500 irakische Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien sollen nach Deutschland kommen. In Schleswig-Holstein sollen 80 von ihnen eine neue Heimat finden. Seitdem setzen sich Organisationen wie Amnesty International, das Diakonische Werk, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein dafür ein, künftig jedes Jahr eine bestimmte Zahl Flüchtlinge zwischen Nord- und Ostseeküste aufzunehmen. "Safe-haven", sicherer Hafen, heißt ihre Kampagne.
Bisher gehe es der Bundesregierung vor allem darum, die Flüchtlinge möglichst schnell zu integrieren, sagt Andrea Dallek, die für den Flüchtlingsrat die Kampagne koordiniert: "Die ausgewählten Flüchtlinge sprechen dann gut Englisch und sind Akademiker." Künftig solle dagegen Schutzbedürftigkeit das einzige Aufnahmekriterium sein, fordern die Organisationen.
Die Landes-CDU lehnt die Initiative ab. Die gegenwärtigen Regelungen zu Asyl und zur Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen seien ausreichend, teilte Fraktionssprecher Dirk Hundertmark mit. Die anderen Fraktionen im Landtag begrüßen das Konzept grundsätzlich. Einig wurde man sich dennoch nicht ohne weiteres. Karl-Martin Hentschel hält es für problemlos möglich, im Rahmen des Resettlement-Programms 100.000 Flüchtlinge pro Jahr in Deutschland aufzunehmen. In seinem Antrag an den Landtag hatte er die Zahl aber vorsichtshalber auf 20.000 reduziert, von denen nach gegenwärtigem Schlüssel knapp 700 auf Schleswig-Holstein entfallen würden - "damit die anderen Parteien es nicht direkt ablehnen". Das taten FDP und SPD zunächst aber trotzdem. Man wolle erst eine Anhörung im Ausschuss mit den Organisationen durchführen, bevor man sich auf genaue Zahlen einige, sagt der FDP-Landtagsabgeordnete Günther Hildebrand. "Aber es dreht sich höchstens noch um die Anzahl der Flüchtlinge." Die SPD-Fraktion sieht das ähnlich.
In keinem anderen Bundesland war der Anteil der Flüchtlinge nach 1945 so hoch wie in Schleswig-Holstein. Die meisten kamen aus Ostpreußen und Pommern.
1,2 Millionen Vertriebene wurden hier im Jahr 1946 gezählt - bei 1,5 Millionen Einheimischen. Die Bevölkerung war seit 1939 um 67 Prozent angestiegen.
Für die Neuankömmlinge wurden anfangs Sammellager eingerichtet. In den 1950er Jahren entstanden neue Siedlungen.
1949 begann die Umsiedlung der Vertriebenen: Bis 1960 zogen 400.000 Flüchtlinge weiter in andere westliche Bundesländer.
Für Andrea Dallek ist es "positiv, dass das Land reagiert", aber wenn die Bereitschaft fehle, konkret zu werden, "verwäscht das Projekt". Dass sich die Umsetzung hinzieht, ist aber wahrscheinlich. Im Wahlkampf in Schleswig-Holstein spielt das Thema keine Rolle, erst danach wird sich die neue Regierung damit befassen. Hinzu kommt, dass das Bundesinnenministerium dem Resettlement zustimmen muss. Finanziert wird das Projekt nämlich vom Bund. Norbert Trosien vom UNHCR vermutet, dass man dort erst einmal abwarten will, bis alle 2.500 Flüchtlinge der ersten Resettlement-Aktion in Deutschland angekommen sind. Bisher seien es erst rund 1.200. "Wir brauchen eine gewisse Zeit, die Personen auszuwählen", sagt Trosien. Wichtig sei es trotzdem mit Kampagnen wie "Safe-haven" dafür zu werben, dass sich ganz Deutschland für die aktive Flüchtlingsaufnahme einsetzt.
Druck auf den Bund auszuüben ist auch das Ziel der Landtagsfraktionen, die den Antrag verabschieden wollen. "Natürlich ist das letztlich Bundessache", sagt Karl-Martin Hentschel. Aber schon jetzt seien viele Kommunen bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn die Länder mitzögen, sei das ein Signal an die Bundesregierung. Per Ratsbeschluss hat sich bereits die Stadt für ein regelmäßiges Resettlement-Programm ausgesprochen - als dritte deutsche Stadt nach München und Aachen.
Hentschel ist auch zuversichtlich, dass der neu gewählte Landtag den Beschluss von kommender Woche nicht wieder kippen wird. "Ob es umgesetzt wird, hängt von den Mehrheiten ab, aber selbst bei Schwarz-Gelb würde sich die FDP für die Kampagne einsetzen", glaubt er. Die FDP wollte dazu lieber nichts sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“