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Flüchtlingspolitik in EritreaMit EU-Hilfe in die Weltgemeinschaft

Das kleine Land war lange isoliert. Millionen von Eritreern suchen weltweit Schutz. Jetzt schüttet die EU über Eritrea Geld aus, um die Fluchtursachen zu bekämpfen.

Obdachlose eritreische Flüchtlinge 2014 in Sanaa, Jemen Foto: dpa

Eritrea ist eines der kleinsten, ärmsten und jüngsten Länder Afrikas. 1993 erkämpften sich die Eritreer die Unabhängigkeit von Äthiopien. Im Jahr 2016 schwelgt das Regime in selbstverherrlichenden Feierlichkeiten, Präsident Isaias Afwerki inszeniert sich als der große Befreiungskämpfer und Erlöser. Die neue Partnerschaft mit der EU hilft ihm, seine Legitimität zu erhöhen.

Bislang war das Land am Horn von Afrika quasi von der Weltgemeinschaft isoliert. Der UN-Sicherheitsrat beschloss seit 2009 mehrere Resolutionen, unter anderem ein Waffenembargo und Reiserestriktionen. Die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Eritrea wurde bereits 2007 eingestellt.

Der UN-Menschenrechtsbericht vom Juni 2016 wirft dem repressiven Regime vor, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen, die Bevölkerung zu versklaven, zu foltern und als Gefangene zu halten. Im Fokus steht dabei immer wieder der sogenannte Nationale Dienst, also der obligatorische Militärdienst, zu welchem alle jungen Männer und Frauen nach dem Schulabschluss automatisch eingezogen und nicht mehr entlassen werden. Quasi ihr Leben lang schuften Eritreer als Arbeitssklaven, Frauen werden laut UN-Bericht systematisch in den Kasernen sexuell misshandelt. Die Flucht aus dem Militär kann tödlich sein – und dennoch wagen es viele.

Laut dem Zensus von 2010 hatte Eritrea ohnehin nur rund 5,7 Millionen Einwohner. Die Weltbank schätzt, dass mittlerweile über eine Million Eritreer im Exil Schutz suchen. Laut UN-Menschenrechtsbericht fliehen monatlich rund 5.000 Menschen, damit ist Eritrea weltweit ein „Spitzenproduzent“ von Flüchtlingen – vor allem im afrikanischen Vergleich.

Gefährliche Reise

Eritreas Regierung erwirtschaftet aus der Diaspora durchaus Vorteile: Zwei Prozent ihres im Ausland erwirtschafteten Einkommens müssen laut Gesetz alle Eritreer zurückführen, die sogenannte Wiederaufbausteuer. In einer Resolution warf der UN-Sicherheitsrat dem Regime in Asmara 2011 vor, mit Steuermitteln die islamistische Miliz Al-Shabaab in Somalia zu finanzieren.

Über eine halbe Million Eritreer suchen in den umliegenden Ländern Schutz: im Sudan, Äthiopien, Uganda, Kenia, sogar im Bürgerkriegsland Südsudan. Bis 2012 galt Israel noch als Zielland vieler Eritreer, doch seitdem Fliehende auf ihrem Weg durch die Sinai-Wüste immer mehr Opfer von Organhändlern wurden und Israel begann, Flüchtlinge gezielt in afrikanische Drittstaaten wie Uganda und Ruanda abzuschieben, suchen die meisten Eritreer einen Weg durch Ägypten oder Libyen in Richtung Europa.

Die Reise sei teuer und lebensgefährlich, berichtet Meron Estefanos, Direktorin der eritreischen Initiative für Flüchtlingsrechte ERRI und Gründerin einer Telefonhotline für eritreische Flüchtlinge in Schweden im taz-Interview. Aus Eritreas Hauptstadt Asmara zu fliehen, sei schwer, weil die Grenze sehr weit entfernt sei und die Bewegungen überwacht würden. Wer es sich leisten kann, heuert in Asmara einen Offiziellen der Regierung oder der Armee an, der ein Diplomaten- oder Regierungskennzeichen hat, und lässt sich aus dem Land, teilweise sogar bis in Sudans Hauptstadt Karthum fahren. Der Preis betrage laut ERRI bis zu 6.000 Dollar pro Person. Regierungsmitglieder seien korrupt und bestechlich.

Weite Schleusernetzwerke

Ursprünglich flohen die meisten Eritreer in den Sudan – die Grenze war bislang durchlässig und wenig kontrolliert. Selbst eritreische Spezialeinheiten konnten in den Sudan unbemerkt eindringen, um Migranten aufzuhalten oder selbst zu fliehen. Estefansos Informationen von Flüchtenden zufolge gibt es Gerüchte, Sudans jüngst stationierten Grenzeinheiten seien von Deutschen ausgebildet worden. Die meisten hätten jetzt Angst. Seit rund 18 Monaten fliehen Eritreer deswegen erst nach Äthiopien und von dort weiter in den Sudan.

UN-Ermittler und europäische Strafverfolgungsbehörden haben jüngst herausgefunden, dass die meisten Schleusernetzwerke, die von Sudan über Libyen bis in die EU hineinreichen, von Eritreern unterhalten werden. Schleppertum und Lösegelderpressung sind ein gigantisches Geschäft: Bis Anfang 2016 kostete eine Flucht aus Eritrea bis in die EU rund 3.500 Dollar, so die Angaben von ERRI. Mittlerweile habe sich der Preis bis auf 15.000 Dollar erhöht, weil Lösegelder verlangt werden, vor allem in Sudan und Libyen. Es häufen sich Berichte, dass eritreische Flüchtlinge von ISIS in Libyen gekidnappt werden. Der Islamische Staat verlange jedoch keine Lösegelder, weil sie die Migranten als Kämpfer zwangsrekrutierten.

In den meisten EU-Mitgliedstaaten stelle Eritreer nach Syrern und Afghanen diejenige Gruppe, die am meisten Asylanträge stellen – und es werden jährlich mehr: 2010 waren es EU-weit rund 4.500 Anträge, wovon 3.000 bewilligt wurden. Im Jahr 2014 beantragten 37.000 Eritreer europaweit Asyl, fast die Hälfte wurde positiv beschieden. 2015 waren es mit rund 34.000 Anträgen etwas weniger, die Anerkennungsrate stieg auf 27.000.

„Gar nicht so schlimm“

Die Bundesrepublik galt schon vor der Unabhängigkeit in den 1980er Jahren als beliebtes Zielland für Menschen eritreischer Abstammung: vor allem Frankfurt, wo es eine eritreische orthodoxe Gemeinde gibt. 14.000 Asylanträge hat das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) von Januar bis August 2016 entschieden, alle jedoch ausdrücklich Einzelfallprüfungen. Das BAMF hatte gemeinsam mit der Schweizer Schwesterbehörde SEM (Staatssekretariat für Migration) 2016 eine Delegationsreise nach Asmara unternommen, um die möglichen Risiken bei Rückführungen auszuloten.

Im Abschlussbericht heißt es: „An der Grenze wird nicht systematisch auf illegal Ausreisende geschossen, Schüsse können aber vorkommen“ und: „Bei freiwilligen Rückkehrern aus dem Ausland, die zuvor den Dienst verweigert hatten, desertiert waren oder illegal ausgereist waren, werden die drakonischen gesetzlichen Bestimmungen derzeit offenbar nicht angewandt, falls sie zuvor ihr Verhältnis zum eritreischen Staat geregelt haben. Eine neue, nicht veröffentlichte Richtlinie sieht vor, dass diese Personen straffrei zurückkehren können. Es ist davon auszugehen, dass die grosse Mehrheit der Personen, die gemäss den Bestimmungen dieser Richtlinie freiwillig zurückgereist sind, tatsächlich nicht verfolgt wurde. Allerdings bestehen Vorbehalte: Da die Richtlinie nicht öffentlich ist, besteht keine Rechtssicherheit“, so der Bericht, der der taz vorliegt. Darin lässt sich die Tendenz ablesen, dass man in Europa versucht, die Lage in Eritrea als „gar nicht so schlimm“ darzustellen. Ähnliche Tendenzen sind in Berichten von dänischen, britischen, norwegischen und kanadischen Immigrationsbehörden zu lesen.

In einer internen Mitteilung der EU-Kommission an das EU-Parlament über die neue Partnerschaft im Rahmen der europäischen Migrationsagenda wurde Eritrea als „Prioritätsland“ bezeichnet. „Fluchtursachen bekämpfen“ heißt das neue Ziel der Europäer, weshalb die EU und allen voran die Bundesregierung jetzt Präsident Afwerki helfend die Hand entgegen strecken.

Ziemlich gute Zusammenarbeit

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller reiste im Dezember 2015 als erster deutscher Minister nach 20 Jahren in die Hauptstadt Asmara, und traf Präsident Afwerki: „Wir können Eritrea unterstützen, den Exodus der Jugend zu stoppen, indem wir die Lebenssituation vor Ort verbessern und möglichst auch Rückkehrperspektiven eröffnen. Wir bieten Gespräche an und sondieren Hilfen, zum Beispiel in der beruflichen Ausbildung. Dies geht aber nur, wenn die eritreische Regierung wirtschaftliche und politische Reformen einleitet und die Menschenrechtslage verbessert“, sagte Müller in einer Pressekonferenz. Daraufhin kamen eritreische Regierungsdelegationen nach Berlin und Brüssel gereist. Im September 2016 eröffneten gleich zwei Minister und der einflussreiche Präsidentenberater Yemane Gebreab in Berlin eine neue Ära der „bilateralen Partnerschaft“, während vor den Türen eritreische Flüchtlinge protestierten.

„Wir können die Probleme nicht durch Wegschauen lösen. Das ist der Grund, weshalb wir kooperieren“, erklärt Christian Manahl, seit 2014 Vorsitzender der EU-Delegation in Asmara im taz-Interview. Die EU-Beziehungen zu Afwerkis Regime seit der Unabhängigkeit bezeichnet er als „ziemlich gut“ und kündigt eine engere Zusammenarbeit an.

Kurz nach der Asmara-Reise von Bundesentwicklungsminister Müller hatte die EU in einem Abkommen vom Januar 2016 für die nächsten fünf Jahre 200 Millionen Euro aus dem EU-Entwicklungsfond EDF zugesagt, darunter 170 Millionen in den Bereichen Energie- und Stromversorgung und 20 Millionen für die Verbesserung der Regierungsführung. Eritrea ist zudem im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses und dessen Maßnahmen für „Besseres Migrationsmanagement“ anteilig Empfängerland der in diesem Rahmen veranschlagten 45 Millionen Euro.

Land ohne Staatshaushalt

Die EU-Hilfe soll ein Anreiz für die Regierung in Asmara darstellen, gewisse Reformen anzugehen – so geht es aus mehreren Kleinen Anfragen an die Bundesregierung zu Eritrea hervor. „Wir haben hier keine Vorbedingungen gesetzt, sondern können nur Druck auf die Regierung ausüben, diese Empfehlungen auch umzusetzen“, so Manahl gegenüber der taz.

Eine zentrale „Empfehlung“ der EU ist die Reform des umstrittenen Militärdienstes und die Reduzierung der Dienstzeit auf 18 Monate, so wie es in der Verfassung vorgesehen ist. Die Nachrichtenagentur Reuters beruft sich in einem Artikel auf anonyme Quellen innerhalb Eritreas Regierung, die angeben, das Versprechen gegenüber der EU sei pures Lippenbekenntnis. „Das hat unser Präsident der EU versprochen und nicht uns Eritreer“, kritisiert Estefanos von der Flüchtlingsinitiative ERRI die EU-Politik. „Eine Änderung der Regierung ist nur möglich, wenn kein Geld nach Eritrea fließt und noch mehr Sanktionen verhängt werden“, sagt sie.

EU-Delegationsleiter Manahl argumentiert gegenüber der taz: Kein einziger Euro würde von Brüssel auf eine eritreisches Konto eingehen, sondern die Maßnahmen würden von europäischen Konsortien umgesetzt, da Eritreas Regierung gar keinen offiziellen Haushaltsplan veröffentliche. Sämtliche „Bedenken“, die korrupte Regierung könne EU-Entwicklungsgelder insgeheim in den gigantischen Militärapparat umleiten, um weiter Menschenrechtsverbrechen zu begeben, seien „unbegründet“. Zudem sei auch die Korruption jüngst weniger geworden. „Die meisten EU-Mitgliedstaaten sind derzeit noch zögerlich, mit den Sicherheitsorganen zusammen zu arbeiten“, so Manahl. „Doch dies ist in Zukunft nicht ausgeschlossen“.

UN-Ermittler sowie Researcher des in Kenia ansässigen Sanah-Instituts präsentierten in ihren Berichten 2016 Beweise, dass eritreische Regierungs- und Armeeangehörige in den Menschenhandel ihrer Landsleute nach Europa verwickelt sind. 2015 verhafteten italienische Behörden einen eritreischen Schlepper, der zuvor als offizielles Mitglied von eritreischen Regierungsdelegationen Europa besucht hatte. Eritreas Außenministerium startete daraufhin eigene Ermittlungen in die Menschenhändlernetzwerke und signalisierte Bereitschaft, deren Ergebnisse mit der UN zu teilen. EU-Delegationsleiter Manahl sagt dazu: „Es gibt keine Beweise für die systematische Verwicklung der Regierung in den Menschenhandel“.

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