Flüchtlingslager auf griechischen Inseln: Wo es an allem fehlt
Wer als Flüchtling auf den griechischen Inseln lebt, für den wird es vor Ort schrecklich. Die körperliche Unversehrtheit ist dort mehrfach bedroht.
„Hier gibt es keine Verbesserungen, für niemanden.“ Der NGO-Mitarbeiter schüttelte den Kopf und ging weiter. Das war im Oktober, im Flüchtlingslager auf Samos, einem mehrfach überbelegten Elendscamp, in dem es über die Jahre immer mal wieder gebrannt hatte. Teile davon waren danach neu aufgebaut, neu arrangiert worden. Aber besser – nein, besser war es eben nicht geworden.
Das ist leider eine Erkenntnis dieses Jahres – ach was, schon der vergangenen Jahre: Wer als Flüchtling auf den griechischen Inseln lebt, für den wird es in der Regel während seiner Zeit vor Ort nicht besser. Es wird einfach nur schrecklich, oder eben schlimmer.
Das Übergangslager in Kara Tepe auf Lesbos ist das bekannteste Beispiel. Nachdem das heftigst überfüllte Lager in Moria abgebrannt war, zogen die Menschen also in ein neues provisorisches Lager. Eines, in dem es an so gut wie allem fehlt, und wo sie sich kaum vor dem Regen schützen können, der das Behelfscamp etwa in der vergangenen Woche überflutete. War die Lage schon im abgebrannten Camp von Moria katastrophal – im Übergangslager von Kara Tepe ist sie definitiv nicht besser.
Auch auf den anderen Inseln leben viele Kinder in den Camps und werden von katastrophalen Lebensumständen nicht nur an einer guten Entwicklung und Schulbildung gehindert. Die körperliche Unversehrtheit aller Bewohner*innen ist schlicht jederzeit in Gefahr. Wo Menschen sind, ist auch Ungeziefer.
Babys mit Rattenbissen
Und wo viele Menschen nah aufeinander in Zelten und zusammengebastelten Behausungen leben, kochen und essen, in die das Ungeziefer fast ungehindert eindringen kann? Dort werden Kinder zum Opfer von Rattenbissen – und ihre Eltern müssen ratlos zuschauen. „Wir haben sogar schon Babys gesehen, die mit Rattenbissen in unsere Klinik kamen“, sagte Jonathan Vigneron, der damalige Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen auf Samos, im Herbst der taz.
Gleichzeitig gibt es in den Lagern noch andere Sicherheitsprobleme: Unter anderem Frauen und Kinder sind auf den schlecht beleuchteten, überfüllten Terrains der Camps einem großen Risiko sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Davor warnen NGOs schon lange. Am Montagabend zum Beispiel fand man im Übergangslager von Kara Tepe ein dreijähriges Mädchen aus Afghanistan bewusstlos im Schlamm, berichtet ein örtliches griechisches Nachrichtenportal von Lesbos. Die Polizei ermittle, nach ersten Erkenntnissen aus ärztlichen Untersuchungen sei das Kind vergewaltigt worden.
Apropos „Übergangslager“: Der Übergang dauert wohl bis September 2021. Bis dahin werde dort ein „neues, qualitativ hochwertiges Aufnahmezentrum“ entstehen, das griechische und EU-Behörden gemeinsam leiten würden, hat die EU-Kommission Anfang des Monats erklärt. Neue Lager entstehen auch auf anderen Inseln, laut griechischen Behörden sollen sie über Brandschutzsysteme verfügen und „menschenwürdige Lebensbedingungen“ bieten.
Gleichzeitig sind es „geschlossene Lager“ mit Einlasskontrolle und „doppelter Umzäunung“. Auf Samos ist ein solches Lager schon weit im Bau fortgeschritten – man darf es sich wie ein Gefängnis vorstellen, weit weg von normalem Leben, von Geschäften und den üblichen Supermärkten. Sogar einen Spielplatz mit Wippen, Schaukeln, einer Rutsche gab es im Oktober schon – ebenfalls meterhoch eingezäunt, als ginge von spielenden Kindern eine irrsinnige Gefahr aus.
Journalist:innen am Zugang gehindert
Wer Neubauten wie diese sieht, dürfte jedenfalls kein besonderes Vertrauen in die Behörden fassen, dass das Leben vor Ort besonders menschenwürdig sein wird – ohne Freiheit wird es womöglich abermals einfach anders schrecklich. Und wer wird dann noch Einblick haben?
In den vergangenen Monaten berichteten Journalist*innen immer wieder davon, an der Berichterstattung gehindert worden zu sein. Das war nach dem Brand auf Lesbos der Fall und gilt wohl auch für das Lager in Kara Tepe, wie eine Wiener Journalistengruppe erfahren durfte, die laut der Organisation Reporter ohne Grenzen am Zugang gehindert wurde.
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