Flüchtlingskrise am Lageso: Hausverbot für Helferin - oder nicht?
Eine Freiwillige berichtet auf Facebook von Schikanen, rechter Hetze und ihrem Rauswurf. Das löst eine Empörungswelle aus.
Die Sozialverwaltung und der Krankenhausbetreiber Vivantes, der in dem Zelt Essen verteilt, wiesen die Vorwürfe bereits zurück. Es sei kein Hausverbot gegen HelferInnen erteilt worden, erklärte ein Sprecher der Senatsverwaltung am Freitag. Doch Jorinde Leonhardt beharrt darauf. Sie habe Zeugen dafür, dass ihr und anderen ein Hausverbot erteilt wurde, schrieb sie Freitagabend in einem zweiten Post. Sie könne auch den Sicherheitsmann von Gegenbauer benennen, der den Verweis ausgesprochen habe.
Die Helferin, die nach eigener Darstellung seit Monaten vor allem nachts am Lageso aktiv ist, betonte, dass sie nicht „pauschalisiere“. Bei den Sicherheitsleuten seien „auch richtig tolle Menschen darunter! Aber eben leider auch solche, wie gestern.“ In ihren ersten Post hatte sie berichtet, dass ein Gegenbauer-Mann einer anderen Helferin gesagt habe: „Wem wollen sie denn helfen?? Den RATTEN??“ (Großschreibung und Satzzeichen wie im Post.)
Während dieser Ausspruch in den Facebook-Kommentaren vielfach als Ausdruck von rechtsradikaler Gesinnung gewertet wurde, erklärte der Sprecher der Sozialverwaltung im Tagesspiegel, der Sicherheitsmann habe damit nicht die Flüchtlinge, sondern „die tatsächlichen Ratten gemeint, von denen es auf dem Gelände nicht wenige gibt“. Darauf reagierten UserInnen mit der hämischen Bemerkung, es sei doch merkwürdig, dass mit Hygiene-Argumenten das Hosenanziehen verboten sei an einem Ort, wo angeblich Ratten herumliefen.
„So geht es jedem Helfer“
Auch die Erklärungen einer Vivantes-Sprecherin zu dem Vorfall sind offenbar strittig. Die Sprecherin hatte am Freitag der Nachrichtenagentur dpa gesagt, es sei nicht verboten, in dem Zelt Kleidung anzulegen. Am Donnerstagabend hätten aber mehrere Personen versucht, dort Kleidung zu verteilen. Zum Schutz vor Infektionen und aus hygienischen Gründen sei dies jedoch im Essenszelt untersagt. Der Sicherheitsdienst habe dieses Verbot durchgesetzt.
Leonhardt dagegen sagte dem Tagesspiegel, es sei nicht wahr, dass mehrere Personen versucht hätten, Kleidung zu verteilen. „Ich wollte nur dem frierenden Jungen eine Hose anziehen.“ Für die junge Frau ist der Fall der Gipfel einer langen Reihe von Schikanen, die sie in den letzten sieben, acht Monaten erlebt habe. „Und so geht es jedem Helfer“, schreibt sie.
Tatsächlich war das Lageso den Freiwilligen am Anfang mit offenkundigem Misstrauen und in bürokratischer Manier begegnet. So kam, als die HelferInnen im vorigen Sommer begannen, Essen an Tausende in der Hitze wartende Flüchtlinge auszuteilen, als allererstes das Gesundheitsamt vorbei und machte Hygieneauflagen.
Die amtlichen Mühlen mahlen langsam
Inzwischen hat die Behörde allerdings einige Verbesserungsvorschläge der HelferInnen – wie Essensausgabe und Wartezelte – umgesetzt. Dennoch und trotz der Veränderungen beim „Wartemangement“ häufen sich in letzter Zeit wieder die Berichte über verzweifelt wartende unversorgte Flüchtlinge.
So schrieb ein Mitglied von „Moabit hilft“ vorigen Mittwoch: „Zwei Frauen Schwanger 7 & 8 Monat bekommen von uns Lebensmittel-Gutscheine da sie seit dem 22. Dezember versuchen in das Lageso vorzudringen.“ Ein User kommentiert: „die Berichte helfen leider nicht... Dem Pack ist doch das Schicksal dieser Menschen scheißegal...“ Darauf Helferin Leonhardt: „Das sehe ich anders. Öffentlicher Druck hat die Zustände schon einige Male verbessert.“
Doch die amtlichen Mühlen mahlen bekanntlich langsam: Am Sonntagmittag postete Leonhardt einen neuen Bericht von der Nacht zuvor: Obwohl bereits 50 Flüchtlinge dort seien, neue und solche, die sich bereits für Montag anstellten, sei niemand von Vivantes, die eine 24-Stunden-Versorgung versprochen hätten, anwesend. Empört fragt sie: „Wir reden hier von hygienischen Vorschriften, während Menschen hungern und frieren?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid