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Flüchtlingshilfe nach Gewaltmärschen

Die Tschechische Republik ist auf Flüchtlinge kaum vorbereitet / Private Organisationen sind erst im Aufbau und drohen bereits an Geldmangel zu scheitern  ■ Aus Červený Újezd Tomas Niederberghaus

Alena Kubičková hängt ein Tropfen unter der Nase. Die Haare, die unter ihrer Wollmütze herauslugen, sind zu Eiszapfen gefroren. 15 Kilometer ist die Prager Soziologin vom nordböhmischen Bilina in das Flüchtlingslager Červený Újezd durch die Kälte gestapft. Öffentliche Verkehrsmittel fahren nicht – außer dem Lager gibt es hier nur ein paar Häuser. Wie alle anderen KollegInnen der privaten Hilfsorganisation Český Helsinký Výbor besitzt auch Alena kein Auto. So läuft sie die Strecke ein bis zweimal wöchentlich. Červený Újezd liegt auf einem ehemaligen russischen Militärgelände, etwa 50 Kilometer von der Grenze zu Sachsen entfernt. Die tschechische Regierung nutzt es jetzt je nach Bedarf als Aufnahme- und Aufenthaltslager für Flüchtlinge. Geblieben sind aus alten Zeiten die kargen Plattenbauten, die hohen Maschendrähte und vor allem die Maxime: So leicht kommt hier keiner rein. Fünf Stunden stand beispielsweise der 22jährige Bulgarien-Türke Soli Miumlun in der Kälte vor dem Haupttor. „Gehen Sie dorthin, wo Sie herkommen, wir haben keinen Platz für Sie“, haben ihm die Ordnungshüter einzureden versucht. Schließlich klappte es doch: Ein Bett und drei Mahlzeiten am Tag sind ihm nun sicher. Mit zwölf weiteren Flüchtlingen ist er in einem Raum untergebracht.

Alena ist zuständig für die psychologische und soziale Beratung von Soli und den übrigen Asylsuchenden in Červený Újezd. „Seitdem die Deutschen im Alleingang ihre Grenzen dicht gemacht haben, hat sich die Lage hier in der Tschechischen Republik deutlich verschärft“, sagt die Flüchtlingshelferin. Das Land sei auf die Neuankömmlinge viel schlechter vorbereitet als der Westen. Eine Infrastruktur für die Unterstützung von Flüchtlingen besteht noch kaum.

„Stellenweise ist auch die Ignoranz der Bevölkerung enorm“, erzählt Alena. In Nordböhmen sei es beispielsweise nicht möglich, einem Schwarzen ein Zimmer zu besorgen. Diese Erfahrungen untermauern die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Umfrage: 70 Prozent aller TschechInnen möchten keinen Immigranten als Nachbarn, fast 80 Prozent meinen, daß Einwanderer aus bestimmten Ländern eine große Gefahr sind.

Lediglich etwa 4.500 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien wohnen in 16 sogenannten „Humanitären Zentren“ – in kleinen Plattenbausiedlungen am Rande verschiedener Städte. Alle anderen sind in Lagern untergebracht; in Červený Újezd warten viele oft Monate und Jahre auf eine neue Unterkunft. Dementsprechend schlecht sind die Chancen, daß die Fremden zu MitbürgerInnen werden. Weil das Lager auch als „Auffangzentrum“ dient, gab es bis vor kurzem praktisch keine sozialen Einrichtungen. Erste Erfolge können sich Alena und ihre KollegInnen des Český Helsinký Výbor auf ihre Fahnen schreiben: So haben sie den Frauen in dem Lager soviel Selbstvertrauen verschafft, daß diese inzwischen auf Verbesserungen drängen: Auf ihren nachhaltigen Wunsch wurden vor vier Wochen zwei Lehrer gestellt, die den Flüchtlingen tschechisch beibringen. Zweimal wöchentlich drücken im Hauptgebäude des Lagers armenische, afghanische, russische und bulgarische Kinder und Erwachsene die Schulbank.

„Die Menschen dürfen keinen Lagerkoller bekommen“, erklärt auch Adam Novak. Der tschechische Soziologe und Journalist hat 1991 mit sechs weiteren Aktiven die Gruppe „Organizace pro Uprchlikum“ (OPU) gegründet. OPU bringt inzwischen zweimal im Monat eine zweisprachige Zeitung für Flüchtlinge heraus. Außerdem organisieren die MitarbeiterInnen Workshops in Červený Újezd und anderen Lagern. „Wir besorgen die Materialien“, erklärt Adam, „den Willen, etwas zu machen, müssen die Leute selbst mitbringen.“

Der Wille ist da: In kleinen Gruppen stellen Frauen Schmuck, Lichter und Textilien her. Die Produkte verkauft OPU nun auf dem Prager Weihnachtsmarkt. Da auch OPU nicht über Fahrzeuge verfügt, annonciert die Organisation in den Zeitungen: „Wer stellt samstags sein Fahrzeug zur Verfügung und hat Lust, mit unseren Mitarbeitern zu Flüchtlingslagern zu fahren?“ Viele melden sich nicht. Um so größer ist die Zahl junger StudentInnen, die OPU tatkräftig unterstützen – zur Freude der Flüchtlinge: „Wir lernen Tschechen kennen, das ist gut“, erzählt eine junge Armenierin in Červený Újezd, „auch die Kinder wissen schon genau, wenn die Gruppe aus Prag kommt.“

Wie oft diese Gruppe noch kommen kann, ist jedoch ungewiß. Neben der Betreuung der Flüchtlinge kämpfen OPU und Český Helsinký Výbor täglich ums eigene Überleben. Keinen Heller erhalten sie von der tschechischen Regierung. Und die Finanzspritzen zweier kanadischer Sponsoren wirken kaum noch. Wohl auch deshalb prangen über dem Fixkostenplan im Prager Büro des Český Helsinký Výbor die mahnenden Worte: „Dieses ist die Realität – unterschätzt die Kosten nicht.“ Tief sitzt der Zynismus in diesem Leitspruch; denn der Blick auf die veranschlagten Gehälter zeigt: Das monatliche Durchschnittssalär beträgt 8.000 Kronen, knapp 500 Mark. Schwarze Ränder unter den Augen sind inklusive, die Wochenarbeitszeit geht weit über 50 Stunden hinaus.

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