Flüchtlingshilfe der Clubs: Das Prinzip Plus 1

Seit zweieinhalb Jahren gibt es in den Clubs die Spendenkampagne Plus 1. Fast eine Viertelmillion Euro wurde damit bis jetzt gesammelt.

Musikerin mit Spendenbüchse

Werbung für die gute Sache: die Musikerin Gudrun Gut Foto: Severin Most/Plus 1

Sie gehören inzwischen im Berliner Nachtleben fast zum Inventar, die kleinen, blechernen Dosen. „Plus 1 – Refugees Welcome!“ steht in großen Lettern auf den Büchsen, die an den Eingängen der Clubs direkt neben der Kasse stehen. Mittig haben sie einen kleinen Schlitz zum Spenden, und in ihnen landet nicht nur Hartgeld: „Viele Leute entscheiden sich, nicht bloß einen Euro zu geben“, sagt Bianca Klose, eine der Mitgründerinnen der Initiative Plus 1, „nicht selten landen auch Scheine in den Dosen.“

Plus 1 ist eine Spendenkampagne, die im September 2015 von einigen Berliner Kulturschaffenden ins Leben gerufen wurde und die seither sehr erfolgreich Geld für verschiedene Flüchtlingsinitiativen sammelt. Das Plus-1-Prinzip ist einfach: Alle Leute, die auf der Gästeliste stehen und so kostenlos in den Genuss von Konzerten kommen, werden an der Kasse gebeten, mindestens einen Euro zu spenden.

Erstaunliche 243.300 Euro hat Plus 1 bis jetzt auf diese Weise eingespielt, davon profitierten bereits NGOs wie das Medibüro Berlin, das sich für eine adäquate Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus einsetzt. Nun steht die nächste Förderrunde an – von den Einnahmen, die in den kommenden Monaten gemacht werden, sollen der kurdische Frauenverein Dest Dan, die Initiative Jumen, die sich für den Familiennachzug Geflüchteter einsetzt, sowie die neu gegründete NGO, Mare Liberum, profitieren. Letztere will von Juni an den Schiffsverkehr und die Migration in der Ägäis dokumentieren.

Alles ehrenamtlich

Bei der Initiative Plus 1 machen insgesamt 80 Berliner Clubs mit. Das Organisatorische erledigt ein Kernteam von zehn Leuten, dazu kommen Paten, die mithelfen, dass die Spendendosen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. „Wir machen alles ehrenamtlich. Wir stecken keinen Cent in die Infrastruktur, das gesamte Geld kommt den Hilfsinitiativen zugute“, erklärt Klose, die in Berlin auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus leitet.

Neben Klose gehören auch Thorsten „Torsun“ Burkhardt, Sänger der Band Egotronic, und Filmemacherin Alexandra Weltz dem Plus-1-Team an – die drei sind gemeinsam zu einem Interview in einem Kulturzentrum in Wedding erschienen. „Uns verbindet eine politische Geschichte. Wir sind alte Freundinnen und Freunde mit einem antirassistischen und antifaschistischen Hintergrund, kennen uns aus dem Berliner Kulturleben. Jetzt sind wir alle ein paar Jahre älter, haben zum Teil Familie und sehr unterschiedliche Lebensentwürfe. Aber politisch engagieren möchten wir uns weiterhin“, sagt Weltz.

Im Sommer 2015 – dem Jahr, in dem viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen – hatten sie das Gefühl, etwas tun zu wollen und zu müssen. Denn neben einer neuen Willkommenskultur gab es jede Menge Hass, die Missstände waren offensichtlich: „Es war die Zeit, in der an der zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Berlin Notstand herrschte. Wir dachten uns: Nur Klamotten zu spenden, das kann’s nicht sein“, sagt Weltz. Inzwischen hat sich die Bedarfslage etwas verändert: „Heute geht es auch darum, wie die Leute, die nun hoffentlich in Deutschland bleiben können, hier in den Alltag integriert werden und ein selbstbestimmtes Leben führen können“, sagt Klose.

Berlin als Vorbild: Plus 1 hat bereits auch Nachahmer in anderen Städten gefunden

Die Hilfsinitiativen – zum Beispiel im Mittelmeer – bräuchten bis heute jede Unterstützung, ergänzt Burkhardt: „Nur weil das Flüchtlingsthema nicht mehr omnipräsent ist, ist die Dringlichkeit ja nicht weg.“ Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) starben im Mittelmeer 2017 mindestens 3.116 Menschen auf dem Weg nach Europa – ein Grund, warum die Plus-1-Gelder nun an die Organisation Mare Liberum gehen. Mare Liberum fährt von Juni an mit einem Boot in die Ägäis, um die Migration dort zu beobachten. „Wir sind komplett spendenfinanziert“, sagt Roman Kutzowitz von der erst vor zwei Monaten gegründeten Initiative, „die Fördergelder sind wichtig für uns, um die Infrastruktur für unsere Arbeit zu schaffen.“ Zum Beispiel flössen die Einnahmen in die Instandsetzung des Boots.

Ein gewisser Beigeschmack

Auch der Arbeitgeber von Lisa Wildenhain hat von Plus-1-Spenden profitiert. 11.000 Euro hat die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen (KuB) in Berlin, für die Wildenhain in der Verwaltung arbeitet, zuletzt von der Initiative erhalten. Die 11.000 Euro kamen einer Frauen*beratung zugute – einem Angebot für Schwangere, Alleinerziehende und Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Dank der Spendengelder konnte die KuB mehr Beratungsgespräche für geflüchtete Frauen anbieten. „Es ist total cool, dass die Leute so viel geben“, sagt Wildenhain, „einen gewissen Beigeschmack hat es für mich dennoch, wenn wir zu stark auf diese Zuwendungen angewiesen sind. Das hat etwas von einer schleichenden Privatisierung des sozialen Bereichs.“

Und wie kommt die Aktion bei denen an, die um Spenden gebeten werden, bei Journalistenkollegen etwa? „Ein Beispiel für eine einfache, effiziente Kampagne“, nennt eine Kollegin des Tagesspiegels die Aktion in einer Mail.

Einig sind sich alle, dass Plus 1 prinzipiell eine gute Sache ist. Kritik äußern manche aber an der Art und Weise, wie um Spenden geworben werde. „Ich hatte nicht wirklich das Gefühl, als hätte ich eine Wahl“, schreibt eine Kollegin – man würde ja gern etwas spenden, aber lieber mit dem Gefühl, das geschehe auf freiwilliger Basis.

Dass die Aktion an den Kassen aber auf offene Ablehnung stößt, ist äußerst selten. Das ist auch die Erfahrung von Mary Rademacher von der Veranstaltungsagentur Loft Concerts. Sie steht bei Konzerten am Einlass und sagt, die Konzertbesucher spendeten „zu 98 Prozent“ gerne und bereitwillig. Über die Kooperation mit Plus 1 sei man froh bei Loft: „Es ist gut, dass die Musik- und Clubszene ihren Teil zur Flüchtlingshilfe beitragen kann“, sagt sie.

Plus 1 hat derweil bereits Nachahmer in anderen Städten gefunden. In London hat eine Gruppe von Promotern, Labelbetreibern und Journalisten „Support Act“ gegründet, und in Montreal wurde im Oktober 2016 „In Project“ ins Leben gerufen.

Plus-1-Bankverbindung für Spenden: VDK e. V., Bank für Sozialwirtschaft, IBAN DE96 1002 0500 0003 2196 05, Verwendungszweck: Spende: „Refugees Welcome +1“

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