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Flüchtlingsfrauen belästigt

■ Frauen auf dem Asylschiff St. Hallvard im Allerhafen klagen über sexuelle Belästigung

„Dieses Gespräch betrifft nicht nur die Frauen. Das geht auch uns Partner an“, betritt Zankly L. energisch den kleinen Raum, wo sich die gerade fünf Flüchtlingsfrauen setzen wollen. Der Anlaß zum Gespräch sind ihre Lebensumstände auf dem Wohnschiff St. Hallvard. Seit dem 10. Februar nämlich – und das ist neu – sind nicht mehr nur alleinstehende Männer auf dem Asylschiff im Allerhafen untergebracht, sondern auch zehn Paare. Die führen nun besondere Klagen: „Die Frauen werden hier angetatscht und belästigt.“In der Unterkunft leben 10 Paare und 76 von alleinstehende Männern.

Zanky L., der rührige Togoer, ist der erste, der das Problem der sexuellen Belästigung ausspricht, nachdem sich die Männer gesetzt haben. Seine Schwester nickt. Auch die kurdischen Männer stimmen zu; ihre jungen Frauen schweigen. Nicht alle Frauen sind heute gekommen. Einige leben tagsüber bei Verwandten, damit sie die Stimmung auf dem Schiff nicht erleben müssen, darunter eine schwangere Frau.

Wer keine Verwandten an Land hat, die afrikanischen Frauen beispielsweise, bewegt sich auf dem Schiff mit Vorsicht – oder ohne vertraute Begleitung gar nicht. Die kurdischen Frauen beispielsweise reagieren mit Rückzug: „Sie verlassen die Kabinen kaum“, übersetzt die Dolmetscherin. Später erklärt sie, daß sich unter den Bewohnerinnen des Schiffes herumgesprochen hat, daß eine afrikanische Asylbewerberin von einem anderen Flüchtling heftig belästigt worden war. „Ihr Mann hat sogar geweint“, heißt es. Der Mann war gestern auch anwesend und übergabe der zuständigen Flüchtlingsbetreuerin der AWO, Edith König, einen schriftlichen Bericht über den Vorfall . „Alle paar Tage wird meine Frau hier von frustrierten Kerlen verfolgt,“ fügt er hinzu.

„Dieser Vorfall war mir nicht bekannt“, sagt Heimleiterin Martina Gramatzky. „Wenn mir sowas erfahre, gibt's sofort Ärger.“ Auch Edith König war bislang davon ausgegangen, daß vor allem kulturelle Unterschiede zu den Klagen der Paare geführt hatten: daß nackte Oberkörper oder anders unvollständige Bekleidung einiger junger Männer die jungen Frauen aus dem türkisch-kurdischen Hinterland erschreckt hätten. Oder daß „ungeschickte Bewegungen“ mißverstanden wurden. Aber seit einem Gespräch mit der Flüchtlingsinitiative Schildstraße habe sich doch vieles verbessert. Was? „Wohl daß jetzt wenigstens die Schiffs-Mitarbeiter ,bürgerliche Höflichkeit walten lassen'“, sagt Michaela von Freyhold von der Flüchtlingsinitiative. Denn auch über die gab es Beschwerden – aber davon sprach gestern niemand mehr.

„Die Unterbringung von Paaren auf dem Schiff war ein Versuch“, erklärte Edith König. „Er wurde aus der Not geboren – aus Ihrer und unserer“, wandte sie sich an die anwesenden Paare. Denn das Asylgesetz verpflichte die Länder, Asylsuchende während des ersten Jahres in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Vollverpflegung unterzubringen. „Sonst gibt es nur noch die Unterbringung in Vier-Bett-Zimmern. Dann müßten zwei Paare sich einen Raum teilen.“ Trotzdem will sie sich nun beim Sozialressort dafür einsetzen, daß Paare nicht länger auf der St. Hallvard untergebracht werden. „Aber wann es eine Verbesserung gibt, das kann ich nicht sagen.“ Immer wieder erklärt sie, daß die AWO nur für die Betreuung zuständig sei – nicht für die Unterbringung. Ein kleines Problem regelte sie deshalb sofort: Künftig sollen die Flüchtlinge Getränke auch außerhalb der Essenszeiten bekommen.

„Die Bremische und die Sozialbehörde müssen was unternehmen“, fordert Michaela von Freyhold. Denn die St. Hallvard sei eine Aufnahmestelle der ZAST, dorthin komme während der Erstprüfung des Asylgesuches jeder. „Viele, die nur drei Monate hier sind, wissen doch, daß sie nichts zu verlieren haben“, sagt von Freyhold. „Und so benehmen sie sich dann auch.“ Das Schiff sei nichts für Frauen.

Anders als die Sozialbehörde sieht von Freyhold schon Ausweichmöglichkeiten für das Wohnen an Land: „Mir sind allein acht Fälle bekannt, in denen Flüchtlinge seit über einem Jahr in Sammelunterkünften leben und gerne dort ausziehen würden. Wenn die Bremische da reagiert, würde mindestens für die Paare Platz geschaffen.“

Doch die kurdischen Flüchtlinge haben nicht mehr viel Geduld. Bis Freitag wollen sie mit jemandem sprechen, der für die Unterbringung verantwortlich ist. Wenn nicht, erwägen sie einen Hungerstreik. Denn die Situation der Frauen an Bord sei nur die Spitze des Eisbergs. Die unmenschliche Situation auf dem Schiff müsse insgesamt geändert werden. „Wir sind politische Flüchtlinge – und werden politisch handeln“.

ede

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