Flüchtlings-Zukunft: Rettende Paragrafen nicht bedacht
Hamburgs Senat könnte den Lampedusa-Flüchtlingen sehr wohl helfen, sagen deren Unterstützer. Das Rathaus scheue den Konflikt mit der Bundesregierung.
HAMBURG taz | Nach den Scharmützeln zwischen Unterstützern und der Polizei fordern unterschiedliche Stimmen ein Einlenken des Hamburger SPD-Senats in der Flüchtlingsfrage. So appelliert etwa DGB-Landeschef Uwe Grund, selbst jahrelang SPD-Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft, an Bürgermeister und Innensenator, „alle rechtlichen Möglichkeiten kreativ anzuwenden, um für betroffene Flüchtlinge humanitäre Lösungen zu finden“.
Liegen könnte diese Lösung könnte in der „Aufenthaltsgewährung“ nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes: Er gibt der Hamburger Innenbehörde das Recht, „bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis“ zu erteilen – nach Absprache mit dem Bundesinnenminister. „Wir haben diesen Weg nicht beschritten, weil wir fest davon ausgehen können, von diesem Bundesinnenminister eine solche Zustimmung nicht zu erhalten“, sagt Frank Reschreiter, Sprecher von Innensenator Michael Neumann (SPD).
Die Anwendung des Paragrafen sei „rechtlich nicht machbar“, führt Reschreiter aus – schon „weil wir bei den Flüchtlingen nicht wissen, wie sie heißen und wo sie herkommen“. Das Gesetz schreibe aber vor, dass eine Gruppe und ihre Mitglieder klar bestimmbar sei. Rund 300 afrikanische Männer sind seit März in Hamburg. Ihre italienischen Reisepapiere, die sie auf der Insel Lampedusa erhalten hatten, sind inzwischen abgelaufen.
Demonstriert haben am Mittwochabend erneut weit über 1.000 UnterstützerInnen in der Hamburger Innenstadt für ein kollektives Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge.
Unterzeichnet hat der SPD-Bezirksabgeordnete Mark Classen das St.-Pauli-Manifest "Wir sind mehr", eine Petition für eine Lösung des Lampedusa-Problems. Als Kritik an der Senatspolitik will Classen das aber tunlichst nicht verstanden wissen.
Verabschiedet hat der Landesvorstand der Hamburger Grünen schon am Dienstagabend eine Resolution, in der er den Senat auffordert, Verantwortung zu übernehmen und den Hamburger Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht zu erteilen.
Reschreiters Einschätzung widerspricht der Hamburger Verfassungsrechtler Ulrich Karpen: „Wer kreative Lösungen sucht, wird diesen Weg gehen“, sagt Karpen der taz. Zwar geht auch Karpen davon aus, dass der Bundesinnenminister „seine Zustimmung vermutlich nicht erteilen“ würde. Ein Versuch aber könne nicht schaden, sagt er: Dann habe der Hamburger Senat „zumindest alles versucht“.
Derweil setzt Senator Neumann weiter darauf, die Identität der Flüchtlinge zu ermitteln – mit mäßigem Erfolg. So sprach bis Mittwoch Nachmittag nur einer von 19 vorgeladenen Lampedusa-Flüchtlingen bei der Hamburger Ausländerbehörde vor.
Nach Angaben der Innenbehörde erhalten die Männer bis zur endgültigen Klärung ihres Falles eine Unterkunft, medizinische Versorgung und Verpflegung – sofern sie ihre Identität und Fluchtgeschichte offenlegen. „Wir hoffen auf eine Sogwirkung“, sagt Sprecher Reschreiter – „dass andere Flüchtlinge nachziehen, wenn sie hören, wie das Verfahren abläuft.“
Das darf bezweifelt werden: Einer der von der Polizei bereits am Freitag aufgegriffenen und an die Ausländerbehörde überstellten Flüchtlinge bekam mitnichten befristete Aufenthaltspapiere – sondern eine schriftliche Ausreiseverfügung, befristet auf den 25. Oktober. Sollte der 20 Jährige bis Freitag kommender Woche das Land nicht verlassen haben, werde man ihn abschieben.
„Ein Einzelfall“, sagt Behördensprecher Reschreiter. Der Mann habe sich anwaltlich nicht vertreten lassen und auch keine Gründe nennen können, die die Einleitung eines Asylverfahrens erlaubt hätten. Gegen den Ausreisebescheid habe inzwischen die Flüchtlingshilfeorganisation „Fluchtpunkt“ Widerspruch eingelegt. Damit ist der Vorgang erstmal gestoppt, solange, bis die Behörde weitere Schritte ergreift.
„Wenn wir einem Flüchtling empfehlen, der Aufforderung nachzukommen, sich der Ausländerbehörde zu stellen, müssen wir ihm sagen, dass er sich an seiner eigenen Abschiebung beteiligt“, sagt Anne Harms von der Organisation Fluchtpunkt. Behördensprecher Reschreiter dagegen unterstreicht, es gebe „in der ganzen Welt keinen Rechtsstaat“, in dem jemand staatliche Leistungen erhalte, „der seine Identität nicht preisgibt“. Die Hamburger Behörde setzt deshalb weiterhin auf Identitätsfeststellungen und individuelle Verfahren. Bei denen, so Reschreiter, könnte sich „im Einzelfall ein Härtefall herauskristallisieren“.
Leser*innenkommentare
Johnny
Gast
Schade, dass die taz hier wieder strenger zensiert als sonst.
An ernsthaften Kommentaren ist die Hamburger Redaktion offenbar nicht interessiert.
Steffi
Gast
Johnny, so ist es. Aber wundert Sie das? Die taz will ein bestimmtes Bild der Hamburger manifestieren: Suppe kochende Frauen, Menschenrechtler, gute Pfarrer und auf jeden Fall asylberechtigte Afrikaner.
das ist bei der BILDung auch nicht anders, nur dass die taz es gern verschweigt, dass siezensiert ...
Pluto
Gast
Der Rat von Hamburg scheut keineswegs den Kontakt mit der Regierung. Beide sind an Recht und Gesetz gebunden.
Die Afrikaner können nicht hierbleiben, schon zu lange dauert dieses Debakel.
Sie werden nach Italien abgeschoben werden, bestimmt nicht auf die Insel Lampedusa, sondern verteilt im Land.
Gott gebe es.
Rosa
Jetzt bemüht die taz schon den CDU-Mann Ulrich Karpen um ihre Position zu rechtfertigen.
Wie peinlich ist das denn?
Richtig ist, daß § 23 eine Ausnahmeregelung vorsieht, bei der die Identität der Gruppe bekannt sein muß.
Folglich KANN Innenminister Friedrich gar keine Erlaubnis erteilen.
Was meint Ulrich Karpen hier mir „kreativen Lösungen“?
Der Innenminister möge sich doch bitte nicht an die Gesetze halten???
Außerdem spräche sich das schnell bis Lampedusa rum, und dort machen sich die nächsten auf die Reise nach HH.
Wenn der § 23 aber grundsätzlich für alle Lampedusa-Flüchtlinge gälte, wäre er keine Ausnahme mehr.
Theodor Schmidt
Gast
Sehr geehrter Herr Neumann,
es wurde vor diversen Wochen aus Ihrer Behörde heraus schon vermeldet, dass diese Flüchtlinge in Hamburg keine Zukunft haben werden. Ihr jetziges Statement spricht für eine sehr seltsame deutungsoffene Doppelmoral innerhalb ihrer Person sowie Ihrer Behörde. Bitte bedenken Sie Persönlich, dass manch ein Hardliner der Politischen Hamburger Geschichte die Macht der Strasse & Bürger schon häufig unterschätzte und einen Karriereknick bekam. Bitte legen Sie sofort Ihr Amt nieder. Werde diese Forderung ab sofort ständig wiederholend stellen! Sie wollen die Namen, damit die Lampedusa Flüchtlinge abgeschoben werden können. Das ist eine treibjagd, welche Sie in ein paar Wochen keinesfalls mehr hätten rechtfertigen können. Zitat von Ihnen:
" Im übrigen hätte man mir in sechs Wochen vorgeworfen, es sein doch nun schon Adventszeit, da könne man doch so etwas nicht tun"
Stellen Sie und Ihr Kollege Scholz die kontrollen ab sofort ein und sagen Sie Bitte, das diese Flüchtlinge eine Faire chance für das Bleiberecht bekommen werden!?!
Dieser Text wird seit dem 16.10.2013 in diversen Technischen und Natürlichen Foren verbreitet...
Mit freundlichsten Grüssen,
Theodor Schmidt
udu
@Theodor Schmidt
Es geht nicht ums "Hardliner sein oder nicht, sondern um Gesetze und Gesetzmäßigkeit.
Politiker aus EU- Regierungen sind gefordert einen gerechten Verteilerschlüssel für die Länder zu beschließen, der sich nicht nur an der Größe des jeweiligen EU- Landes orientiert, sondern auch an dessen wirtschaftlicher Stärke.
Menschen sind keine Warenlieferungen, die man beliebig exportieren oder importieren darf. Welche Rechtsfolgen würden sich ergeben, wenn wir uns Bedingungen dieser Art aufzwingen lassen und ungeprüft ein Bleibetrecht erteilen würden?
Nennen Sie mir bitte ein Land der Welt, wo man ein Bleiberecht und Unterstützung erzwingen kann, ohne Namen und Herkunft zu nennen. Ich kenne keines, würde es aber kennen lernen.
Wo kann man das für eine Gruppe fordern, wenn man aus unterschiedlichen Herkunftsländern kommt? Lt. BILD sollen bereits 2 Personen zu anderen Zeiten Libyen verlassen haben. Einer hatte angebl. sogar in mehreren Ländern Asyl beantragt.
Armutsflüchtlingen hilft man nicht, indem man sie für eigene politische Zwecke instrumentalisiert, sondern eine Wirtschaftspolitik betreibt, die die Armut in den Ländern nicht verstärkt, sondern verringert.
Realist
Gast
@Theodor Schmidt Das ist schon ein Witz. Hr. Schmitt droht unverhohlen einem Politiker der das Gesetz befolgt.Dann appeliert er an seine persönliche Karrieregeilheit und betreibt selber die von ihm kritisierte Hetzjagt gegen ihn. Das ist dann für einen echten Linken Demokratie. Alles was er bei "Rechten" zurecht abscheulich finden würde. Ein Niveau unterster Schublade...
Paul
Gast
@Realist Sehr gute Antwort an Theodor Schmidt. Schade, dass solche Menschen erfahrungsgemäß nicht mit Logik umgehen können, aber schön, dass es trotzdem noch Menschen gibt, die versuchen, solch kontraproduktiven Statements entgegen zu halten.