Flüchtlinge in Syrien: Leben im Belagerungszustand

Seit dem Beginn des Aufstands hat sich die Einwohnerzahl der syrischen Stadt Salamiya verdoppelt. Die meisten sind Flüchtlinge und leben in absoluter Armut.

Der Bürgerkrieg hat viele Syrer zu Flüchtlingen gemacht. Bild: dpa

SALAMiYA taz | In friedlichen Zeiten hatte Salamiya 145.000 Einwohner – eine ruhige, etwas staubige Kleinstadt, südöstlich von Hama. Doch seit dem Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime sind noch einmal so viele Menschen dazugekommen, großenteils Alaviten, Schiiten oder Christen, die aus den umliegenden Orten hierher geflohen sind.

Manche können sich ein Hotel leisten oder sind bei Verwandten untergekommen. Die Mehrheit jedoch drängt sich in ungeheizten Schulen und Turnhallen, baut am Stadtrand Wellblechhütten oder lebt in Zelten, die von NGOs gespendet wurden. Die Stadt hat sich verändert: Die Straßen sind voller Menschen in abgerissener Kleidung, die Arbeit suchen oder betteln.

Doch auch hier finden sie keine Ruhe. Der Bürgerkrieg rückt ständig näher. Salamiya ist das Zentrum der syrischen Ismailiten, einer islamischen Glaubensgemeinschaft, deren Anhänger auch Siebener-Schiiten genannt werden. Sunnitische Fundamentalisten betrachten Schiiten als Ungläubige, deshalb geht in der Stadt jetzt die Angst um. Zwar sind hier noch Soldaten der syrischen Armee und Bürgermilizen stationiert. Doch die Kämpfer der Freien Syrischen Armee und der radikalen Nusra-Front rücken immer weiter auf Salamiya vor. Die Dörfer ringsum stehen bereits unter Kontrolle der Aufständischen.

„Wir hören hier jeden Tag die Einschläge von Bomben, Raketen und Granaten an der Front vor der Stadt“, klagt Layal, eine 23-jährige Studentin der englischen Literaturgeschichte. Auch Salamiya bleibt nicht verschont. Seit einem Anschlag auf die Hauptversorgungsleitung ist die städtische Wasserversorgung unterbrochen.

Sobald Techniker der Wasserbetriebe ausrücken, um die Leitung zu reparieren, werden sie von Aufständischen angegriffen. Ein Mitarbeiter wurde erschossen. Nun schafft die Stadtverwaltung Wasser in Zisternenwagen heran. Doch damit sind neue Probleme entstanden, denn das Wasser war offenbar verunreinigt.

Chlor-Tabletten zur Desinfektion

„Wir haben hier tausende Patienten, die an Hepatitis A erkrankt sind“, klagt Mokhles Abdalkarim Aldaas, der Manager des Al-Bir-Krankenhauses in Salamiya. „Hepatitis A kommt von verseuchtem Wasser. Aber uns fehlen leider die Mittel, die Patienten zu behandeln.“ Abhilfe könnte geschaffen werden, indem die Einwohner das Wasser aus dem Zisternenwagen abkochen. Da aber ständig der Strom ausfällt und Gasflaschen für die meisten zu teuer sind, scheidet auch diese Möglichkeit aus. Inzwischen verteilt der Rote Halbmond Chlor-Tabletten an die Bevölkerung, um das Wasser zu desinfizieren.

Seit kein Wasser mehr aus den Hähnen fließt, haben viele Einwohner begonnen, Brunnen zu graben. Dadurch ist der Grundwasserspiegel gesunken, und die Brunnen sind versiegt. Inzwischen sind alle Brunnen in Salamiya ausgetrocknet, und die Einwohner müssen ihr Wasser kaufen. Ein Barrel, circa 120 Liter, kostet umgerechnet knapp zwei Euro – zu teuer für die vielen mittellosen Flüchtlinge.

Die Armut hat in der Stadt bislang unbekannte Ausmaße erreicht. Esmaeil Khaddour, Arzt beim Roten Halbmond, berichtet: „Seit zwei Jahren versorgen wir 400 Familien jeden Tag mit dem Allernötigsten. Das sind die Ärmsten der Armen, denen fehlt es sogar am täglichen Brot, von Kleidung ganz zu schweigen. Wir können ihnen nur helfen, zu überleben – für mehr reichen unsere Mittel nicht.“

An einer Ausgabestelle, wo Brot verteilt wird, wartet eine abgemagerte Frau. Sie ist aus Homs hierher geflüchtet. „Wir sind dem Tod geweiht“, sagt sie bitter. „Es ist so beschämend, dass mir jemand das Brot geben muss, das ich zum Leben brauche.“

Ernte vernichtet

Nicht nur das Leben in der Stadt wird immer schwieriger – auch die wirtschaftliche Basis von Salamiya, die Landwirtschaft, geht zugrunde. So gibt es kein Wasser zur Bewässerung mehr, die Felder verdorren. Geschosseinschläge reißen die Erde auf. Manchmal zerstört auch der Gegner die Ernte.

„Aufständische haben meine Olivenbaumplantage niedergebrannt“, berichtet etwa Ghadfan, ein Unternehmer, in einem Dorf in der Nähe von Salamiya. „Mein Betrieb ist zerstört, ich hatte dort mehrere Millionen US-Dollar investiert. Das Schlimmste ist, dass die Aufständischen zwei meiner Mitarbeiter entführt haben und jetzt meinen Bauernhof besetzt halten.“

Die Englischstudentin Layal verliert zunehmend ihre Hoffnung: „Wir hatten einmal ein Leben, Ziele. Wir waren glücklich. Doch nun gibt es keine Arbeit mehr, alle Fabriken sind zerstört. Wir haben vergessen, was Glück und Erlösung bedeutet. Das ist kein Leben, das wir hier führen. Ich fühle mich, als wäre ich 100 Jahre alt.“

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