Flüchtlinge in Kreuzberg: Senat beteiligt sich an Immobiliensuche
Sozialsenator zeigt sich gesprächsbereit, Flüchtlingen vom Oranienplatz feste Bleibe zu organisieren - sofern das Camp verschwindet. Innensenator prüft derweil weiter Räumung.
Seit Wochen sucht das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nach einer festen Unterkunft für die Flüchtlinge aus dem Protestcamp auf dem Oranienplatz – bislang erfolglos. Nun bietet der Senat erstmals an, mitzuhelfen. Man sei bereit, über „zwischenzeitliche Unterbringungsmöglichkeiten“ für die dortigen Bewohner zu sprechen, sagte eine Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) der taz.
Die Flüchtlinge, derzeit gut 100, campieren bereits seit einem Jahr in Zelten auf dem Oranienplatz, protestieren dort für mehr Rechte. Viele sind inzwischen aber ausgelaugt, nun stehen sie vor ihrem zweiten Winter – für Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) eine untragbare Perspektive. „Die Flüchtlinge auf dem Platz frieren und hungern, sie können nicht noch einen Winter dort bleiben.“
Der Bezirk startete deshalb die Suche nach einem Haus. Nur gibt es laut Herrmann keine freien Gebäude in Bezirkshand. Und die seit Monaten ebenfalls von Flüchtlingen besetzte Schule in der Ohlauer Straße sei bereits „voll belegt“. Herrmann bat deshalb den Senat um Hilfe.
Der aber hatte bisher stets abgelehnt: Man sei nicht zuständig. Mit Czaja zeigt sich nun der erste Senator gesprächsbereit. Man hätte schon früher über eine „ersatzweise Unterbringung“ sprechen können, sagte dessen Sprecherin Regina Kneiding, etwa im Rahmen einer angebotenen gemeinsamen Hygienebegehung des Camps. Bisher habe der Bezirk aber alle „Kooperationsangebote“ ausgeschlagen. Dennoch und „obgleich die dort lebenden Flüchtlinge in ihre deutschen Aufnahmeorte zurückkehren müssten“, sei man bereit, über eine vorübergehende Unterbringung zu sprechen, so Kneiding. Czajas Verwaltung stellt aber eine Bedingung: „Dafür müsste der Bezirk die Duldung der rechtswidrigen Zustände aufheben.“ Soll heißen: Das Camp muss dann auch wirklich verschwinden.
Laut Herrmann sind die Flüchtlinge inzwischen dazu bereit – sofern sie tatsächlich ein Haus bekommen und ein Info-Zelt auf dem Oranienplatz behalten könnten. Herrmann hat den Flüchtlingen bereits zugesagt, dies zu gestatten. „Ich freue mich, dass nun auch beim Senat angekommen ist, dass mitten in der Stadt Flüchtlinge in Not leben, um die wir uns kümmern müssen“, sagte die Grüne.
Nur: Woher das Haus nehmen? Herrmann hofft auf die BIM, die Berliner Immobilienmanagement GmbH, die rund 1.600 landeseigene Gebäude verwaltet. Derzeit werden vier BIM-Häuser durch das Czaja unterstellte Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) als Asylunterkünfte genutzt. Deren Präsident Franz Allert sieht sich für die Flüchtlinge vom Oranienplatz aber nicht zuständig. Man sei ausschließlich für die Berlin zugeteilten Asylbewerber verantwortlich, sagte er der taz. Die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz kämen aber aus anderen Landkreisen und hätten dort „die Möglichkeit, eine angemessene Unterkunft zu erhalten“. Dort würden „alle erforderlichen Leistungen erbracht, so dass sich die Frage der humanitären Gründe für uns nicht stellt“, so Allert.
Unterstützung kommt dagegen von Monika Lüke, der Integrationsbeauftragten des Senats. Seit Wochen bieten Mitarbeiter aus ihrem Haus Beratungen auf dem Oranienplatz an. „Die Flüchtlinge dort sind müde und kaputt“, sagte Lüke. „Sie können nicht auf dem Platz bleiben, vor allem nicht jetzt im Winter.“ Lüke lobte die Initiative des Bezirks. Gleichzeitig äußerte sie sich skeptisch, ob die Flüchtlinge „als Gruppe“ untergebracht werden könnten. Es brauche aber eine humanitäre Lösung. „Eine Räumung wäre die denkbar schlechteste Variante. Deshalb müssen wir eine Alternative finden.“
Viel Zeit bleibt dem Bezirk dafür aber nicht: In den kommenden Tagen will Innensenator Frank Henkel (CDU) entscheiden, ob die Bezirksaufsicht des Senats gegen das Camp einschreitet. In diesem Fall erhielte der Bezirk, der das Protestlager seit Beginn an duldet, Auflagen – womöglich auch die, eine Räumung des Protestlagers zu veranlassen. Ein Sprecher Henkels sagte, die Prüfung sei „in der Endabstimmung“. Die Richtung ließ er offen. Allerdings hatte Henkel schon vor Wochen über die „rechtswidrigen Zustände“ auf dem Platz geschimpft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin