: Flüchtlinge im Bürgerkrieg gefangen
■ 100.000 Ruander sitzen in Zaire fest. Weil Kabilas Rebellen die Flughäfen für militärischen Nachschub brauchen, kann die UNO keine Luftbrücke einrichten. In den Lagern verbreitet sich Cholera. Täglich sterben sechzig Menschen
Paris/Kisangani (taz) – Der Beginn der UN-Hilfsaktion für rund 100.000 ruandische Flüchtlinge, die seit Wochen auf ihre Rückkehr nach Ruanda warten, ist seit dem Wochenende wieder völlig ungewiß. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) mußten Versorgungslieferungen für das Lager bei Kisangani unterbrochen werden, weil Einheimische die Konvois angriffen. UNHCR-Sprecher Peter Kessler berichtete ferner, daß Rebellen bei Goma ein Treibstofflager der Hilfsorganisation geplündert hätten. Sie protestierten dagegen, daß sich die internationale Hilfe nur auf die Versorgung der Flüchtlinge konzentriere, aber die Misere der Zairer nicht berücksichtige. Zudem war Unruhe über ein Gerücht entstanden, Hutu-Milizen hätten sieben Zairer ermordet. Vermutet wird, daß sich unter den Flüchtlingen noch viele der Milizen befinden, die am ruandischen Völkermord von 1994 beteiligt waren. Für die geplante Luftbrücke zum Rücktransport der Flüchtlinge nach Ruanda müsse nun neues Flugzeugbenzin besorgt werden. Bereits am Freitag wurde der erste Flug von achtzig Waisenkindern suspendiert, nachdem der Gouverneur von Kisangani von der UNO Sicherheitsgarantien gefordert hatte, die eine weitere Ausbreitung der Cholera verhindern sollen.
Der größte Teil der Flüchtlinge soll nun auf dem Landweg in das 500 Kilometer entfernte Ruanda gebracht werden. Nur Schwache und Kranke sollen ausgeflogen werden. „Es ist unmöglich, alle Flüchtlinge auf dem Luftweg zurückzubringen“, sagte ein Sprecher der Rebellen-Allianz. Die Flughäfen, die man vor allem für den militärischen Nachschub benötige, wären für Wochen blockiert. In der letzten Woche hatte Kabila die Luftbrücke dagegen noch genehmigt. Die Allianz bat zudem die UN um Nahrungsmittel und Medikamente für die Bevölkerung. Man könne nicht zulassen, daß sie unter der Repatriierung zu leiden habe.
UNHCR-Sprecher Peter Stromberg warnte, daß sich die Rückführung um Monate verzögern werde, wenn sie auf dem Landweg organisiert würde. Kisangani liegt mitten in Zaires Regenwald, zudem bringt die Regenzeit sintflutartige Wolkenbrüche mit sich. Schon jetzt behindern schwere Regenfälle und Überschwemmungen die Hilfstransporte. Sechzig Menschen pro Tag sterben an Malaria, Diarrhöe, Cholera und Unterernährung. Stromberg: „Die Luftbrücke ist die effizienteste Methode, die Menschen zurückzubringen.“
Am Wochenende rief Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila zum Sturm auf die zairische Hauptstadt Kinshasa auf. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Minenmetropole Lubumbashi forderte er die Jugend in der Provinz Shaba auf, sich den Rebellen anzuschließen. „Es wird nicht lange dauern, und wir sind in Kinshasa“, sagte Kabila am Samstag vor rund 10.000 Menschen. Kabilas Allianz gibt an, daß sich ihre Soldaten nur noch 200 Kilometer vor der Hauptstadt befinden, Diplomaten schätzen ihre Entfernung jedoch auf 600 Kilometer. Zahlreiche Staaten, unter ihnen auch die USA, haben inzwischen ihre Botschaftsmitarbeiter aufgefordert, das Land zu verlassen. Daß die in dieser Woche in Südafrika geplanten Verhandlungen, zu denen Südafrikas Präsident Nelson Mandela einlud, eine friedliche Lösung des Konflikts bringen werden, scheint ausgeschlossen. Kabila beharrt auf seiner Forderung nach einem Rücktritt von Präsident Mobutu. Dieser lehnt einen solchen Schritt weiterhin ab. Daniel Stroux Kommentar Seite 10
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