Flüchtiger Sicherungsverwahrter: Fahndungspanne auf Mailbox

Niedersachsens prominentester Straftäter hätte schon Anfang des Monats gefasst werden können – wäre sein Telefon überwacht worden.

Grenzenlose Freiheit genoss der Freigänger der JVA Lingen offenbar auch im Telefonnetz. Bild: dpa

HANNOVER taz | Nachdem der flüchtige Sicherungsverwahrte aus der Justizvollzugsanstalt Lingen gefasst wurde, prüft Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) offenbar eine strengere Bewachung. „Wir denken über eventuelle Änderungen des Gesetzes nach“, bestätigte ein Sprecher des Ministeriums am Dienstag der taz.

Festgenommen wurde der 51-Jährige am Samstag im nordrhein-westfälischen Emmerich, nachdem er sein Handy eingeschaltet hatte – per Telefonüberwachung konnte der Mann schnell lokalisiert werden. Ihm wird vorgeworfen, während eines unbegleiteten Freigangs ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Der mutmaßliche Täter saß seit 2007 in Sicherungsverwahrung. Wegen schwerer Körperverletzung hatte er zuvor zwei Haftstrafen von zusammen mehr als fünf Jahren abgesessen. Er galt aber als so gefährlich, dass er danach nicht auf freien Fuß gesetzt wurde: Insgesamt umfasst sein Strafregister 17 Eintrage, darunter auch drei Sexualdelikte.

Seit März 2011 unterzog sich der Mann in der Lingener Justizvollzugsanstalt (JVA) einer Sozialtherapie. Nach einer positiven Begutachtung umfasst die zunächst begleitete „Ausführungen“, danach auch unbegleitete Ausgänge – auffällig wurde der 51-Jährige dabei nicht. Ab April vergangenen Jahres durfte er die Anstalt insgesamt 22 Mal auch über Nacht verlassen.

Möglich machen das Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts: Beide betonen, dass eine Sicherungsverfahrung nicht in lebenslangem Wegsperren bestehen könne. Vielmehr müsse den Tätern die Chance einer Resozialisierung gegeben werden, die als Perspektive die Chance der Freilassung aufzeigt.

„Der aktuelle Fall wird jetzt sorgfältig aufgearbeitet“, erklärt der Sprecher des Justizministeriums in Hannover. Es werde genau geprüft, wer wann mit wem Kontakt gehabt habe. Denn offenbar litt die Fahndung nach dem 51-Jährigen an mindestens einer schweren Panne: Noch am vorvergangenen Sonntag sollen Mitarbeiter der JVA Telefonkontakt mit dem mutmaßlichen Täter gehabt haben – einen Tag nachdem die Vergewaltigung angezeigt wurde. Zunächst soll ein JVA-Bediensteter mindestens eine Nachricht auf der Mailbox des Mannes hinterlassen haben, ist in Hannover zu hören. Zwei Stunden später habe der sich dann zurückgemeldet. Gefasst wurde er nicht – offenbar wurde sein Telefon zu diesem Zeitpunkt noch nicht überwacht.

Scharfe Kritik kommt deshalb vom Verein „Gegen Missbrauch“ aus Göttingen. „Obwohl der Mann wegen mehrerer Sexualdelikte aktenkundig ist, wurden ihm unbegleitete Freigänge gewährt. Das können wir in keiner Weise nachvollziehen“, so der Vorsitzende Ingo Fock.

Die Landtagsopposition zeigt sich dagegen bislang zurückhaltend – wohl auch wegen der engen höchstrichterlichen Vorgaben. Deren konkrete Umsetzung sei „nicht in Beton gegossen“, sagt der FDP-Abgeordnete Marco Genthe. Er fordert die intensivere Begutachtung der Sicherheitsverwahrten in Therapie.

Die CDU, deren Vize-Fraktionsvorsitzende Mechthild Ross-Luttmann der grünen Ressortchefin Niewisch-Lennartz mangelnde Information der Bevölkerung vorgeworfen hatte, will bis zum heutigen Mittwochnachmittag abwarten: Dann will das Justizministerium den Rechtsausschuss des Landtags über die Unstimmigkeiten des Falls informieren – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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