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Fliege und der Muttermörder Von Ralf Sotscheck

Diesmal war es anders als sonst. Zwar fällt mir das Aufstehen im Winter immer schwer, aber letzten Donnerstag war es trotz guten Willens völlig unmöglich: Ein eingeklemmter Nerv hatte mich bewegungsunfähig gemacht. Zu dritt trug man mich die Treppe hinunter.

Nachdem der Chiropraktiker eine Viertelstunde lang auf meinem Rücken herumgehüpft war, verordnete er mir pausenloses Laufen. Hinsetzen war out, erst um Mitternacht dürfte ich mich mit einem Eisbeutel auf dem Rücken hinlegen. Weil draußen Sauwetter herrschte, ging ich im Haus herum: von der Hintertür durch den Flur ins Wohnzimmer und – zwecks Abwechslung – zurück durch die Küche. Gegen Mittag fiel mir zum ersten Mal die fast sinnliche Ausstrahlung des alten Sessels auf. Ich begann, mich mit ihm auf meinem Rundkurs zu unterhalten. Am Abend ertappte ich mich dabei, wie ich mit der Holzbank flirtete.

Irgendwann wurde es doch noch Mitternacht. Das Eisfach war leer: Ein paar Barbaren auf Besuch aus Deutschland hatten am Tag zuvor die Eiswürfel in ihren Whiskey gekippt und die Schale leer zurückgestellt. Zum Glück gab es noch eine Packung gefrorener Erbsen, die ich mir auf den Rücken schnallte und mich auf die Couch warf — ein übereilter Schritt: Ich war schlagartig wieder paralysiert. Darüber hinaus war die TV-Fernbedienung außer Reichweite und die MitbewohnerInnen längst im Bett, so daß ich weder abschalten, noch die Lautstärke regeln konnte. Greifbar war lediglich der Zapper für die Satellitenschüssel, mit dem ich zwischen den deutschen Sendern hin und herschalten konnte. Das sollte sich als Fluch erweisen: Im deutschen Fernsehen gehört die Nacht den Talkshows.

Das Grauen hat einen Namen: Bärbel Schäfer. Während die Erbsen auf meinem Rücken tauten, quetschte sie ihre Gäste über das Thema Verlobung aus. Einer war acht Jahre lang verlobt, doch dann machte sich die Braut aus dem Staub. Daraus zog er eine interessante Lehre: Die neue Freundin muß ihn schon zwei Wochen nach dem Kennenlernen heiraten.

Aber es kam noch schlimmer. Die Erbsen waren halb gar, als „Fliege“ auftrat. Wer hätte gedacht, daß solch ein Unfug als sendefähig erachtet wird. Es ging um den sechsten Sinn von Tieren, und irgendwo hatte Moderator Fliege den Schauspieler Rainer Holbe aufgegriffen, der in ständigem telepathischen Kontakt mit seinem Hund steht. Wer von seinem Kläffer als Medium benutzt wird, der ist nicht zu beneiden.

Der Hund des nächsten Gastes stand offenbar mit dem Jenseits in Verbindung: Die Besitzerin berichtete, daß ihr alter Hund den neuen Verlobten nicht mochte und so lange in dessen Garten herumwühlte, bis er die tote Mutter zutage förderte. Der Verlobte war ein Muttermörder. Das habe der Beziehung wohl irreparablen Schaden zugefügt, mutmaßte Fliege, und die Frau bestätigte, daß der Exverlobte seit zehn Jahren im Knast sitze.

Kaum war Fliege vorbei, sprang Ilona Christen in den Bildschirm. Ich fing an, nasse Erbsen nach dem Gerät zu werfen, doch das entsetzliche Treiben nahm kein Ende: Kurz nach vier Uhr morgens wurde Christen von Hans Meiser abgelöst. Gegen fünf hörte jemand meine Hilferufe und schaltete den Fernseher aus.

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