: Fleurop-Agenten
■ "Verzeih mir"
„Verzeih mir“, Dienstag, 21.15 Uhr, RTL
Die allgemeine Entfremdung schreitet voran. Die sozialen Beziehungen erkalten. Einsam, schweigend und ängstlich streifen die Menschen durch die Wildnis ihrer Städte. Die Instanzen, die früher noch vermittelnd bei Kommunikationsstörungen eingreifen konnten – Wachtmeister, Pfarrer, Lehrer, Mutti, die Psychogruppe oder die Kindergärtnerin – haben ihre Fähigkeit zur Reorganisierung einer sich immer weiter verdünnenden Wirklichkeit verloren. Während sich die Menschen im richtigen Leben immer weniger trauen, winken rettend die Kommunikationsdesigner im Fernsehen. Wer sein Elend interessant genug darstellen kann und nicht den Geruch des Quotenkillers verbreitet, wird eingeladen zu Shows wie „Verzeih mir“ oder „Ich bekenne“. Vor allem Frauen nutzen die RTL-„Versöhnungsshow“ als rettenden Strohhalm, eine liebe Verbindung zu kitten. In ihrem Auftrag reiten Boten des Senders zur brachliegenden Beziehung. Nicht sie selber, sondern die TV-Agenten treten mit der Kamera im Rücken vor die Versöhnungsadressaten, eine alte Nonne zum Beispiel, die geärgert worden war von ihrer ehemaligen Schülerin. „Sind Sie denn auch wirklich vom Fernsehen?“ zweifelt die Überfallene im Tonfall, mit dem nach der Polizeimarke gefragt wird. Die Fleurop- Agenten weisen sich aus und fragen mit professionell-sanfter Stimme: „Können Sie sich vorstellen, wer Ihnen diesen Versöhnungsstrauß schickt?“ – „Ja, die Vicky. Das sieht der ähnlich.“ Die Nonne wundert sich, warum die Vicky denn nicht persönlich vorbeigekommen sei. Doch die Vicky ist im Fernsehen, und da kommt sie nicht mehr raus.
Zuweilen kommen jedoch die Streitpartner hinein – ein Papa zum Beispiel, der mit seiner Tochter seit einem halben Jahr kein Wort mehr gewechselt hat. Unter Tränen umarmen sich die beiden im TV. Und dazwischen säuselt immer wieder der „Verzeih mir“-Jingle wie eine vergreiste Shampoo-Werbung.
Bisweilen wird's sadistisch, denn nicht jedem wird die Versöhnungssimulation gestattet. Die depressive Mutter beispielsweise, die vor Jahren auf den Namen ihrer Tochter bei Neckermann und Otto bestellt hatte, ging trauriger heim, als sie gekommen war. Talgig zerfloß ihr entsetztes Gesicht vor der lüsternen Kamera, während die Tochter ihr in der eingespielten Aufzeichnung mitteilte, sie könne ihr nicht verzeihen, und ins Fernsehen würde sie auch nicht kommen. Kuhlbrödtchen
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