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Fleiß soll sich wieder lohnen

■ In Sachsens Schulen sollen die nach der Wende abgeschafften „Kopfnoten“ wieder eingeführt werden. Auch weitere unionsregierte Länder liebäugeln mit der Zensur aufs Schülerverhalten

Dresden (taz) – Die Wirtschaft will es. Das Handwerk auch. Sachsens Kultusminister Matthias Rößler (CDU) sowieso. Im Südosten der Republik wird derzeit ein Relikt der DDR-Volksbildung wieder ausgegraben: die „Kopfnoten“. „Wir sind mit unserer Meinungsbildung schon ziemlich weit“, so Ministeriumssprecher Steffen Große. Ab kommendem Februar, so der Plan, sollen die Noten für Betragen, Fleiß, Ordnung und Mitarbeit wieder eingeführt werden, „wenn dies von einer breiten Mehrheit getragen wird“. In der ersten Klasse soll es beim Worturteil bleiben, die Note „Gesamtverhalten“ sei nicht geplant.

„Die vielschichtigere Beurteilung verspricht den Schülern mehr Gerechtigkeit“, argumentieren die Befürworter der Wiedereinführung. Zudem seien die Kopfnoten ein zusätzlicher Anreiz für die Schüler. Kritiker bemängeln dagegen, daß es keine objektiven Bewertungsgrundlagen gebe.

Kritiker gibt es in Sachsen allerdings nicht viele. „Bei Lehrern und Eltern zeichnet sich eine Zustimmungsrate von 80 bis 90 Prozent ab“, so Große. Minister Rößler ließ eine Hotline schalten und stellte erstaunt fest, daß auch bei den Schülern die Zustimmung mit 60 bis 70 Prozent unerwartet groß ist. Auch bundesweit scheint die Zustimmung zum sächsischen Plan hoch zu liegen, bei einer Umfrage sprachen sich 79 Prozent dafür aus.

„Wir sind nicht etwa dafür, weil die Kopfnoten ein Überbleibsel aus der DDR sind“, sagt Ingrid Schwaar, Gymnasiallehrerin und Vorsitzende des sächsischen Lehrerverbandes. Vielmehr sehe die Lehrerschaft zwei positive Effekte: „Eltern verhaltensauffälliger Kinder, die sonst kaum zu einem Gespräch bereit sind, würden mit schlechten Kopfnoten ihres Kindes ein Warnsignal bekommen“, meint Schwaar. Zum anderen könnten Kopfnoten für eher praktisch veranlagte Kinder ein Vorteil sein. „Wer schlechte Fachnoten, dafür aber gute Kopfnoten hat, besitzt vielleicht eher eine Chance, eine Lehrstelle zu finden.“

Die Wirtschaft scheint es ähnlich zu sehen. „Grundtugenden wie Fleiß, Ordnung oder Disziplin sind im Handwerk doch unerläßlich“, erklärt der Präsident der Handwerkskammer Dresden, Bernd Rendle. Gerd Drechsler, Vorsitzender des sächsischen Beamtenbundes, kann ohnehin nicht verstehen, „daß gerade diese zentralen Eigenschaften in der Schulzeit nicht eingeschätzt werden“. Der Schüler hätte schlichtweg ein Recht darauf.

Die Kritiker kommen vor allem aus dem Westteil Deutschlands. Der sächsische Kultusminister habe eine Leidenschaft fürs Messen, Zählen und Wiegen, erklärte etwa Marianne Demmer, Schulexpertin im GEW-Vorstand, der Zeit. „Die sächsische Lehrerschaft hat die Entwicklung, die wir im Westen in den siebziger Jahren durchgemacht haben, nicht nachvollzogen“, so Demmer. Damals waren im Zuge der Bildungsreform die Kopfnoten als nicht zeitgemäß aus den Zeugnissen verbannt worden. Statt dessen wurden in einigen Bundesländern schriftlich formulierte Beurteilungen über Betragen und Mitarbeit eingeführt. Beim schlimmsten Rüpel war dann zu lesen: „Sebastian pflegt einen sehr temperamentvollen Umgang mit seinen Mitschülern.“

Erstmals gab es in Deutschland 1909 Kopfnoten. Nach der Wende schaffte das komplette Neufünfland die Kopfnoten ab. Damit glich der Osten sein Benotungssystem dem westdeutschen an. Um das westdeutsche jetzt wieder in ein ostdeutsches umzuwandeln, ist in Sachsen lediglich die Änderung der Schulordnung notwendig. Die soll noch im Sommer erfolgen. Doch scheinbar wird nicht nur das sächsische Notensystem wieder „ostdeutsch“: Die designierte Schulministerin Karin Wolf will das Thema in Hessen diskutieren lassen. Auch in Bayern wird das Lobeslied auf Rößlers Vorstoß so laut gesungen, daß dort schon bald mit einer ähnlichen Initiative zu rechnen ist. Nick Reimer

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