Fleischverzehr in der DDR: Der Broiler und die Partei
In einem war der Osten Weltspitze: dem Fleischverzehr. Und wenn's mal kein Fleisch gab, gab es Kartoffeln. Italien war nämlich weit weg.
Die allmächtige Partei machte viele Versprechen. Und viele hielt sie nicht ein. In einem machte sie aber Ernst: den Westen im Verbrauch von Fleisch und Butter zu überholen. Ab den fünfziger Jahren stieg der Verbrauch von Fleisch und Wurst stetig an. 45 Kilo waren es 1955. Gut dreißig Jahre später vertilgten wir zwei Zentner totes Tier. Im Jahr. Pro Kopf. Da waren wir in der Weltspitze angekommen.
Wir sprechen von der Deutschen Demokratischen Republik. Ulbricht und später Honecker hatten recht behalten – was die Quantität des Fleischverzehrs betraf: Wahrscheinlich haben nur die Amerikaner mehr Fleisch gegessen.
Und wenn’s mal kein Fleisch gab: Die Kartoffel war dabei. Schmorgurken mit Kartoffeln, Rührei mit Kartoffeln, Eier in Senfsauce mit Kartoffeln. Anders als in der Bundesrepublik wurde die Kartoffel nie degradiert. Italien war weit weg.
Da der hohe Fleischbedarf nie voll gedeckt werden konnte, schickte das Kombinat Industrielle Mast 1967 im Auftrag der Partei den Broiler ins Rennen. Angeboten wurde das industriell gefertigte Brathähnchen in eher bäuerlich gestalteten „Goldbroiler“-Gaststätten. Die gegrillten Vögel kamen gut an – sie standen für Fortschritt und schmeckten. Und die Partei hatte an der Sicherung ihrer Macht gearbeitet.
Verwaltung des Mangels
Vom Fleisch abgesehen machte die Fresswelle, wie sie die Bundesrepublik in den Fünfzigern überrollte, an der innerdeutschen Grenze halt. Die Lebensmittelmarken wurden erst 1958 abgeschafft, acht Jahre später als im Westen. Die Nachkriegszeit in der DDR dauerte einfach länger – manche meinen, sogar bis 1989. Parteichef Walter Ulbricht fantasierte sich 1958 zwar eine „immer mächtiger anschwellende Woge von Lebens- und Genussmitteln aus aller Herren Länder“ zusammen. Realität aber war die Verwaltung des Mangels.
sonntaz
Diesen und andere spannende Texte lesen sie in der aktuellen sonntaz vom 28. und 29. April. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Da schon in den Fünfzigern die meisten Frauen arbeiteten, aß man unter der Woche Stullen. Meine Mutter musste im Schulinternat das Einerlei von Jagdwurst, Blutwurst und Grützwurst auf Brot ertragen. Am Wochenende standen zu Hause oft Pellkartoffeln mit Quark auf dem Tisch. Oder Schmorgurken mit Speck. Ein richtiges Sonntagsessen: Königsberger Klopse.
Kartoffeln? Ein Festessen!
Die DDR war gut abgeschirmt gegen kulinarische Einflüsse von außen. Abgesehen von der Soljanka blieb man bei sich, das heißt bei deftiger deutscher Hausmannskost, dem proletarischen Ableger der gutbürgerlichen Küche: Schnitzel, Hackbraten, Buletten, Rostbratwurst, Gulasch, Eisbein – beliebt war vor allem die klassische Dreiheit von Fleisch, Gemüse und, natürlich, Kartoffeln. Sie waren für mich und meinen Bruder, als selbst gemachte Kartoffelpuffer, ein Festessen. Die Küche war verraucht, mein Vater wendete die Puffer einhändig in der Luft, und wir verdrückten gierig die schon fertigen mit Apfelmus und Zucker.
Für Vegetarier sah es sonst düster aus. Salat war eine schlichte Angelegenheit. Bei uns gab es Kopfsalat mit Essig und Zucker. Als mehr Geld im Haus war, verdrängte saure Sahne den Essig. Und in der Schulkantine konnte man dem Krautsalat nicht entkommen: Weiß- und Rotkohl gemischt, süß-sauer, leicht scharf.
Kulinarisch sozialisiert wurde man gerade in der Schule. Am Montag dachten alle: Hoffentlich gibt’s Milchreis. Bloß nicht wieder Brühnudeln! Die waren kein Nachkriegsessen, so muss es im Krieg geschmeckt haben. Ein anderer Klassiker nicht nur der Schulküche: das Jägerschnitzel mit Makkaroni und Tomatensoße, wohl eine DDR-Kreation (siehe Rezept).
Zutaten:
4 dickere Scheiben Jagdwurst
Makkaroni
1 Zwiebel, 1 Ei
3 EL Tomatenmark, 3 EL Mehl
50 Milliliter Tomatenketchup
50 Gramm Butter
Salz, Pfeffer, Zucker, Milch
Das Rezept:
Die fein gehackte Zwiebel in der Butter schwach anbraten, das Mehl dazugeben und zu einer Schwitze verrühren. Tomatenmark hinzugeben und nach und nach mit Wasser auffüllen, sodass die Soße eine sämige Konsistenz erhält. Dann den Tomatenketchup dazugeben. Vorsichtig salzen und pfeffern, bei Bedarf nachsüßen oder mit Milch abmildern. Die Jagdwurstscheiben panieren und braten. Die Makkaroni in mundgerechte Stücke brechen und weich kochen.
Essensmäßig war das Leben etwas einseitig. Und trotzdem dachten wir, wenn wir in den Achtzigern aus dem Rumänienurlaub zurückkamen: Mann, geht’s uns gut. Spätestens nach einer Woche hatte man wieder mal in einem Gemüseladen vorbeigeschaut und sich den Mangel besehen. Oben in den Regalen standen Bataillone von Konservengläsern und -dosen, in der Mitte lagerten diverse Kohlsorten mit Äpfeln, und unten in den Buchten gammelten die Kartoffeln vor sich hin. Gelegentlich verirrten sich Mohrrüben, Paprika oder Pfirsiche in die Läden. Bananen und Apfelsinen kamen auch mal zu Besuch, in Berlin.
Ananas für 8 Mark die Dose
Mit den Feinfrostprodukten und Fertiggerichten hielt die Moderne auch in die DDR-Küche Einzug. Als 1968 die ersten Rostocker Fischstäbchen vom Band liefen, waren die von Iglo im Westen schon ein Bestseller. Irgendwann in den Sechzigern kam das Toastbrot über uns, und mit ihm erreichte uns der Toast Hawaii. Ananas fand man aber erst in den späten Siebzigern in den Delikatläden, für unverschämte 8 Mark die Dose. So mutierte das überbackene Brot zur Karlsbader Schnitte, bei der man die Bestückung nach Belieben variieren konnte. Mein Favorit: Mischbrot, Salami, Apfelscheiben, Käse obendrauf. Herrlich!
Anfang der Achtziger wurde das Imbissangebot erweitert. Zu Bockwurst, Wiener und Bulette gesellten sich Krusta, Ketwurst und Grilletta – die Antwort der DDR auf Pizza, Hotdog und Hamburger. Doch die drei Kopien machten es nicht lange: DDR-Bürger wollten bald das Original probieren.
Als schließlich die Fischstäbchen nur noch aus Zusammengefegtem bestanden, als aus der Butter Wasser austrat und in den Kaufhallen ganze Regale leer blieben, da hätte ein kulinarischer Mitläufer wie ich eigentlich merken müssen: Das mit der DDR, das geht vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“