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FlaschenpostTreibgut im Dienst der Wissenschaft

Jedes Kind kennt die Flaschenpost. Doch kaum jemand weiß, dass tausende Flaschen einst dem Meer anvertraut wurden, um dort die Strömungsverhältnisse zu erforschen.

Schon früher setzten Seefahrernationen auf die Flaschenpost als Instrument zur Erkundung der Meere. Bild: BSH

Das Bild einer sauber verkorkten Flasche, die sanft in den Wellen der Brandung schaukelt, ist nicht nur Küstenkindern sondern auch Landratten ein vertrautes Bild. Treibt so ein Glaszylinder in Ufernähe herum, dann ist das Hallo nicht nur an Elbe, Nord- oder Ostsee groß, sondern auch weiter südlich. Die Flaschenpost hat überall ihre Fans, denn schließlich könnte sich ja eine Schatzkarte, ein Liebesbrief oder auch ein Hilferuf darin befinden.

Etliche Generationen von Kindern sind mit diesen romantischen Vorstellungen aufgewachsen und Erdkundelehrer experimentieren auch heute noch mit der guten alten Flaschenpost, wenn es darum geht den Pennälern die Strömungsverhältnisse nahe zu bringen. "Je günstiger die Strömung, desto schneller kommt man voran. Genau das wollte sich auch die Seeschifffahrt zu Nutze machen und deshalb wurden Flaschen en gros dem Meer übergeben" erklärt Martina Plettendorff mit einem breiten Grinsen.

Die Bibliothekarin ist die Herrin der weltweit größten Flaschenpostbriefsammlung. Die Glaszylinder stehen aber nicht blank geputzt im Regal, sondern die oft mit linkischer Handschrift von Kapitänen und Steuermännern ausgefüllten Schriftstücke sind säuberlich in vier dicke Alben eingeklebt. Insgesamt 662 vergilbte Dokumente mit den exakten Angaben zum Zeitpunkt der Aussetzung und dem Wiederauftauchen der Flaschenpost nennt die Bibliothek des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrologie (BSH) an der Hamburger Bernhard-Nocht-Straße ihr Eigen.

Immerhin die größte weltweit bekannte Sammlung dieser Art und das obwohl einige der Alben im Krieg verlorengingen, sagt Plettendorff. Untergebracht ist die Sammlung gleich neben dem weltberühmten Institut für Tropenmedizin und dem mondänen Hotel Hafen Hamburg. Nahezu an historischer Stätte, denn nur wenige Häuser entfernt mit Blick auf die Landungsbrücken stand einst die Deutsche Seewarte, die Vorläuferorganisation des Bundesamtes.

Pionier der Flaschenpost

Dessen ehemaliger Direktor, Georg von Neumayer, gilt als Pionier der Flaschenposten und die älteste Flaschenpost im Archiv der Bibliothek stammt aus dem Jahr 1864 und wurde von ihm persönlich ausgesetzt. Neumayer stand einst am Pier und drückte den Kapitänen der deutschen Handelsschiffe die Vordrucke für die Flaschenposten in die Hand und bat sie an bestimmten Punkten ihrer Route die Buddeln mit dem ausgefüllten Vordruck über Bord gegen zu lassen.

Ab 1887 wurde das dann Pflicht und die Finder des gläsernen Treibguts wurden "ergebenst ersucht" den Inhalt der schlichten Glaskolben an die Seewarte zurückzusenden - unter Angabe von Datum und Fundort. "So hoffte man mehr über Strömungsverhältnisse zu erfahren", sagt Meeresforscherin Birgit Klein am BSH. Nicht nur in Deutschland war das so, denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzten fast alle Seefahrernationen auf die Flaschenpost als wissenschaftliches Instrument zur Erkundung der Meere. Vorreiter waren die Franzosen. "Die wollten im Golf von Biskaya mit der Flaschenpost den Geheimnissen des Golfstroms auf die Spur kommen", sagt Klein.

Mit verschlossenen Tonkrügen experimentierten auch schon die alten Griechen, und Kolumbus schickte am 14. Februar 1493 ein solides Eichenfass auf den Weg, um dem König von seinen Entdeckungen zu berichten. Der berühmte Seefahrer fürchtete, dass ein Orkan sein Schiff auf den Meeresboden schicken könnte. Auch berühmte Schiffbrüchige wie Robinson Crusoe vertrauten sich der Flaschenpost an. "Aber die Chance, dass so eine Flasche den Weg in bewohntes Terrain findet und gefunden wird, ist nicht sonderlich groß. Bei gerade zehn Prozent liegt sie", sagt Klein.

Ohnehin diente das Gros der Flaschenposten rein wissenschaftlichen Zwecken. Rund 5.000 Flaschen schickte die Seewarte bis 1936 auf die Reise, andere Nationen schickten deutlich mehr Buddeln los. Die allererste schleuderte der bereits erwähnte Georg von Neumayer 1864 vor Australien ins Meer. Die Pulle tauchte drei Jahre später bei London wieder auf. Deutlich länger war eine andere Flasche unterwegs. Die ging 1903 bei einer deutschen Südpol-Expedition über Bord und tauchte erst 1955 in Neuseeland wieder auf.

Beispiellose Kooperation

Ganz so lange sind die modernen Nachfolger der Flaschen, die so genannten "Floating Drifter" nicht unterwegs. Ausgerüstet mit Mess- und Sendeinstrumenten werden die knapp 1,80 Meter großen gelben Aluminiumkegel ausgesetzt, um durch die Meere zu streunen und Daten nach Hause zu senden.

"Heute geht es vor allem um Temperatur und Salzgehalt der Meere", sagt Klein. In Sachen Klimaerwärmung und Wettervorhersagen liefern die High-Tech- Flaschenposten im Zehn-Tages-Rhythmus wertvolle Daten. Diese Daten werden dann weltweit ausgewertet, stehen der Allgemeinheit zur Verfügung und könnten im Internet abgerufen werden.

Ein beispielloses internationales Kooperationsprojekt, denn immerhin tummeln sich mehr als 3.300 dieser intelligenten "Floats", die in Tiefen von 2.000 Metern driften und nur zum Senden auftauchen, in den sieben Weltmeeren. Knapp zweihundert wurden von Klein und ihren deutschen Kollegen ausgesetzt und der Etat reicht, um jährlich weitere fünfzig auf die Reise zu schicken. Ein flächendeckendes 3-D-Strömungsmodell der Ozeane soll dabei quasi nebenbei entstehen, denn vor allem das Klima in und über den Meeren soll besser erforscht werden. Heute, zehn Jahre nach Aufnahme des internationalen Projekts, lassen sich mit Hilfe der kleinen Floater-Armee deutlich bessere Wettervorhersagen machen. Prognosen für über ein halbes Jahr sind nun möglich. Zudem erhoffen sich Klein und ihre Kollegen neue Erkenntnisse über die globale Erwärmung oder Abkühlung der Weltmeere und der damit einhergehenden Auswirkungen für die einzelnen Kontinente.

Dabei ereilen die Floater heute manchmal ähnliche Schicksale wie ihre gläsernen Vorgänger. So hat Klein jüngst beobachtet wie ein Floater irgendwo in Afrika an Land geschafft wurde. Vielleicht von einem Fischer, der es jetzt als dekoratives Element in seinem Wohnzimmer nutzt.

Auf die Idee, dass die moderne Flaschenpost Signale sendet und über GPS lokalisierbar ist, scheint er nicht zu kommen. Für die Forscher des Bundesamtes eine unterhaltsame Abwechslung.

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