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Flammen des Krieges

Deserteure sind plötzlich wieder Vaterlands­verräter und Aufrüstung kein Tabu mehr. In Zeiten wie diesen grenzt es an Landesverrat, über Frieden zu reden. „Fantasten“ und „Träumer“ seien sie, bekommen die zu hören, die es dennoch tun.

Mehr Tauben braucht die Welt. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Anna Hunger↓

Sigrid Altherr-König von der Friedensgesellschaft Esslingen hat zuerst Anrufe bekommen. Von Fremden, die nun meinen, die alte Friedensbewegung mit ihrer Russland-Nähe habe den Krieg in der Ukraine heraufbeschworen. Aus Anrufen werden gerade Leserbriefe in Zeitungen, sagt die Esslingerin am Telefon. Über die Träumer, die so naiv sind, zu glauben, sie könnten Wladimir Putin mit Apellen statt Waffen zum Einlenken bewegen. Die Friedens-Fantasten, die meinen, eine Welt ohne Waffen sei besser als eine, die voll davon ist. „Der Wind weht uns jetzt eisig ins Gesicht“, sagt Sigrid Altherr-König.

Wie geht es also den alten Friedensbewegten in Baden-Württemberg. Denen, die sich in der Vergangenheit vor allem gegen das Militärbündnis Nato positioniert haben? Sei es aus romantischer Verklärung gegenüber Moskau, sei es weil die Amerikaner in Stuttgart mit ihren Kasernen geografisch einfach näher sind. Oder weil man eben zuerst vor der eigenen Haustür kehrt. Dieses Engagement kommt nun, in Zeiten der Aufrüstung, zurück wie ein Bumerang.

Aus Protest gegen den Vietnam-Krieg kettete sich Sigrid Altherr-König mit 15 in Freiburg auf die Schienen der Straßenbahn, bis Wasserwerfer kamen. Seitdem engagiert sie sich für Frieden. „Wir halten an unserer Vision einer Welt fest, in der Sicherheitsinteressen aller Staaten berücksichtigt werden“, sagt sie. In fast allen Parteien würde jetzt nach Aufrüstung gerufen, aber dieser Krieg sei doch unter anderem das Ergebnis des Hochrüstens auf allen Seiten. „Wenn wir das ansprechen, wird einem sofort unterstellt, wir würden Putin verteidigen. Dabei verurteilen wir diesen Krieg. Wir sagen: Die Waffen nieder!“ Weil jede Waffe mehr das Leiden der Zivilbevölkerung verlängere. „Fast überall herrscht jetzt diese militärische Denke, ohne über die Folgen nachzudenken, die ökologischen, sozialen und nicht zuletzt die Fragen des Zusammenlebens der Völker“, sagt sie.

„Wir lassen uns nicht als Träumer verunglimpfen“

Der erste Schock sei der Kriegsbeginn gegen die Ukraine gewesen, der zweite, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr verkündete. Jahrelang habe man auf Sinnvolles und Nötiges verzichtet – erneuerbare Energien, höhere Hartz IV-Sätze. „Ich finde, es muss nachgedacht und besonnen reagiert werden. Hochrüstung ist nicht die richtige Antwort. Letztendlich führt kein Weg an der Diplo­matie, des Einander-Zuhörens vorbei. Es ist nicht moralisch verwerflich, daran zu denken! Deswegen lassen wir uns nicht als Friedensträumer verunglimpfen.“

Henning Zierock ist immer dabei, wo es was zu demonstrieren gibt. Seit 40 Jahren ist er Aktivist, er hat 1988 die Tübinger Gesellschaft „Kultur des Friedens“ gegründet, war im Namen des Friedens überall auf der Welt, wo es Konflikte gab. Heute sagt er, er habe seine Friedensforderungen noch nie von einem Politiker abhängig gemacht. Zu volatil, zu viele Eigeninteressen. „Während Verhandlungen laufen, hinterrücks einen Krieg zu planen und plötzlich steht Putin mit seinen Truppen in der Ukraine – das darf nicht sein“, sagt Zierock. Seit Tagen organisiert er eine Kundgebung nach der anderen. Mit Konstantin Wecker hat er auch telefoniert, der gesagt haben soll, jetzt müsse er wohl wieder seine Anti-Kriegs-Songs spielen.

„Es darf kein Hass gegen ein ganzes Volk entstehen“

Was sagt er zu den Vorwürfen, die alten Friedensbewegten hätten mit ihrem Verständnis für Putin diesem Krieg den Weg geebnet? Die Leute bei der Kultur des Friedens hätten immer versucht, einen universellen Standpunkt zu behalten. „Das wir dem nicht immer gerecht werden, ist doch auch selbstverständlich.“ Wer hätte das auch gedacht? Man solle nur mal an das Friedensforum in Moskau Ende der Achtziger denken! „Es ist schwer vorstellbar, dass das jetzt Kriegsleute sind. Wir müssen aufpassen, dass keine Feindschaft gegen ein ganzes Volk entsteht.“ Warum, fragt er, säße in den Talkshows nicht auch mal ein Friedenswissenschaftler? „Nur Generäle!“

Die „Russische Invasion muss gestoppt werden!“ schickt die DFG-VK über ihren Verteiler. 1892 wurde die Initiative von den österreichischen Pazifisten Bertha von Suttner und Alfred Herrmann Fried als Deutsche Friedensgesellschaft gegründet (DFG). Mitte der 70er schlossen sich die Vereinigte Kriegsdienstgegner (VK) an. „Wir rufen alle Soldat*innen auf, die Waffen niederzulegen und einen Kriegseinsatz zu verweigern … Die Bundesregierung muss Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen aus der Ukra­ine und Russland aufnehmen und unterstützen“, schreibt die Gesellschaft auf Facebook. Das sei dumm, schreibt einer darunter. „Shame on the germans that sympathize with russian invaders.“ Ist es wieder soweit, dass Deserteure Vater­landsverräter sind?

Jürgen Grässlin gehört zu den BundessprecherInnen der DFG-VK. Als er bei der Bundeswehr lernen sollte, wie man mit einem G3-Gewehr Chinesen zwischen die Augen schießt, war der Grundstein gelegt für sein Engagement. Das G3 der Oberndorfer Waffenfirma Heckler und Koch, und später der Nachfolger G36, begleitet ihn bis heute. Er hat nachverfolgt, wo diese Gewehre überall landen und was sie anrichten. Er treibt Heckler und Koch seit Jahren vor sich her, hat dutzende Male vor den Werkstoren des Bundeswehr-Ausstatters demonstriert, sich mit kritischen AktionärInnen in die Firma eingekauft, sie wegen illegaler Exporte nach Mexiko verklagt und gewonnen. Jetzt sitzen die Heckler-und-Koch-Chefs in Oberndorf und reiben sich die Hände, weil das Geschäft wieder läuft. Und Grässlin?

„Die Tauben sind draußen, jetzt kreisen die Falken“

Schreibt Statements gegen den Krieg. „Keine noch so irrationale Behauptung des russischen Präsidenten Wladimir Putin kann dieses barbarische Vorgehen in irgendeiner Weise legitimieren. Dieser Krieg muss sofort beendet werden! Die Waffen müssen schweigen, Diplomatie muss Lösungen auf dem Verhandlungsweg herbeiführen!“

„Dass Putin so skrupellos agiert hätte ich nicht gedacht“, sagt er am Telefon. „Die Tauben sind draußen, jetzt kreisen die Falken.“ Mit seiner „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ sei er in Berlin gewesen, als Scholz seine Idee zum neuen Militärhaushalt verkündete. „Das ist ein Mega-Rollback.“ Auch die Waffenlieferungen in die Ukraine verurteilt er. Wer den Export von Kriegswaffen in einen Krieg genehmige, könne nicht mehr Partner bei Friedensverhandlungen sein. „Wer Waffen in ein Kriegsgebiet liefert, der verliert die Kontrolle über deren Einsatz.“

Er habe gerade ein Déjà-Vu, wie immer dann, wenn er in Krisen- oder Kriegsgebieten sei. „Menschen weinen, fliehen, ihnen fehlen Gliedmaßen. Immer wieder holt mich das ein, aber dieses Mal ist es intensiver, weil es ein Krieg in Europa ist“, sagt er. Es sei gut, dass die Grenzen offen sind, bei afrikanischen Flüchtlingen sei das immer anders. „Putin wirft uns als Friedens- und Menschenrechtsbewegung in die Achtzigerjahre zurück. Alles, was wir seit der Wende erarbeitet haben, ist dahin.“

„Atomwaffen können den Planeten zerstören“

In den Achtzigerjahren, im Kalten Krieg, war Mutlangen ein Nukleus der Friedensbewegung, als aufgrund des Nato-Doppelbeschlusses auf der Mutlanger Heide atomar bestückbare Pershing-Raketen stationiert wurden. Silvia Bopp war damals 14 Jahre alt und hat die Ängste erlebt, die sich diffus in der Gesellschaft verbreitet haben, erzählt sie. Später sah sie auf einer Schulveranstaltung Bilder von den Auswirkungen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Seitdem engagiert sie sich gegen Atomwaffen in der Friedenswerkstatt Mutlangen, einem kleinen Museum, das die Proteste von damals dokumentiert.

Sie hat vor einigen Tagen eine Rede gehalten beim Sternlauf in Mutlangen. „Die Eskalation in einen heißen Krieg durch den Einmarsch Russlands ist mit nichts zu rechtfertigen. Und doch möchte ich dabei nicht vergessen, dass von Seiten der westlichen Staaten viele Eskalationspunkte des Konflikts nicht auf Augenhöhe bearbeitet wurden. Vielmehr war auch die Nato-Politik geprägt von Ereignissen und Machtbehauptungen ihrerseits.“ Das kam nicht gut an.

„Als könnten wir was dafür, dass Putin in die Ukraine einmarschiert“, sagt Bopp im Gespräch. Aber gerade sei wohl nicht die Zeit zur Analyse. „Die Atommächte, und damit auch Russland, haben die Verantwortung, den Frieden zu wahren.“ Das sei eine eindeutige Kritik an Putin. „Es ist schon klar, dass Atomwaffen ein Sicherheitslevel schaffen. Und auch, dass es ein hohes Risiko birgt, der erste zu sein, der abrüstet.“ Alles andere sei naiv zu denken. „Aber dass eine einzelne Person alle derart in Angst und Schrecken versetzen kann, wie jetzt gerade, das geht doch nicht.“ Es fühle sich an, als würde Putin die ganze Welt erpressen mit Nuklearwaffen und den AKWs in der Ukraine. „Atomwaffen können innerhalb kürzester Zeit den Planeten zerstören. Ich bin immer wieder entsetzt, dass die Menschheit da noch keine andere Lösung gefunden hat.“

Was also tun?

Anstatt eines milliardenschweren Sondervermögens für die Bundeswehr solle eine schlagkräftige, gut ausgerüstete Kriseninterventionstruppe aufgebaut werden, schlagen die Mutlanger vor. Jürgen Grässlin schreibt ein Buch und weiter Mitteilungen gegen Waffen und Krieg. Henning Zierock organisiert schon die nächste Aktion. Und Sigrid Altherr-König führt Diskussionen, wie die Ostermärsche zukünftig aussehen. Denn reine Anti-Nato-Plakate haben sich erübrigt.

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