Flaggenkrise in Schwarz-rot-gold: Probleme mit der Kartoffel-Trikolore
IMAGESvon Markus Völker
Neulich sah ich ein Spiel der Deutschen bei einem Freund. Seine Kinder saßen wie die Eckerchen in deutschen Trikots auf dem Sofa. Da war mir schon klar, dass dieser Nachmittag schwierig wird für mich. Die kleinen Deutschland-Fans waren zusätzlich noch in den deutschen Farben geschminkt. Und für das Stimmungshoch, das sicher bald kommen sollte, lagen eine schwarz-rot-goldene Vuvuzela und eine Klapperhand bereit, mit der dann auch sehr ausgiebig und laut geklappert wurde. Die Deutschen hatten sehr viele Chancen. Tröt, tröt! Boah! Kreisch!
Der Vater der schwarz-rot-goldenen Kinder ist ein typischer Bewohner des Prenzlauer Berges. Und auch wieder nicht, denn in diesem Berliner Bezirk sieht man in der Zeit dieser EM noch weniger geschmückte Autos oder deutsche Fahnen als anderswo. Kein Vergleich zu den Fahnen- und Autoseitenspiegelüberzieherexzessen von 2010, 2012 und 2014, die es, zugegeben, weniger im Prenzlauer Berg als vielmehr in Neukölln oder Hellersdorf gegeben hat.
Seit Björn Höcke in der Talkshow von Günther Jauch eine kleine Deutschlandfahne auspackte und auf der Lehne seines Stuhles ablegte, um zu demonstrieren, was für ein extrem aufrechter Deutscher er ist, und seit Pegida unter anderem mit Deutschlandfahnen durch Dresden marschiert, ist das schwierig geworden mit dem unbeschwerten Patriotismus, der während der WM 2006 über das Land gekommen ist wie ein Naturereignis. Bis vor Kurzem war die Autobeflaggung im Großen und Ganzen ein entpolitisiertes Statement. Die Fahne war so etwas wie ein Accessoire für die große Fußballparty. Diese Symbolkraft hat deutlich gelitten.
Das hat dazu geführt, dass der Prenzlbergpapa seinen Fußballnationalismus eher im Privaten und bei den Kindern auslebt. Wer seine Begeisterung für das DFB-Team nach außen tragen will, überlegt es sich dreimal, weil er missverstanden werden könnte. Was die Leute dann halt so denken: Ist der Typ mit dem Fähnchen-Auto ein verkappter AfDler? Kann man das heutzutage noch? Ist die Fahne in den vergangenen Monaten nicht wieder total igitt geworden, weil sich Rechtspopulisten in sie hüllen? Im Prenzlbergmilieu, aber nicht nur da geht man jetzt auf jeden Fall vorsichtiger mit den deutschen Farben um, weil man in gewissen Kreisen ja immer alles richtig machen und um Gottes willen nicht falsch verstanden werden will.
Dass auch weniger durchgentrifizierte Berliner Bezirke geradezu entflaggt wirken, verwundert dagegen schon. Geht auch das Prekariat auf Distanz zur AfD? Aber spätestens nach einem Erfolg der deutschen Elf gegen Italien sollten Fragen der Abwägung und des Politisch-Korrekten keine so große Rolle mehr spielen. Manchmal reicht auch schon ein Anstoß, der von den eigenen Kindern kommt. Sie sind durch Werbung und Kita-Talk dermaßen auf dem Deutschland-Trip, dass ich ihnen neulich sogar die Kartoffel-Trikolore auf die Backe gemalt habe. Bevor ich mit ihnen nach dem Spiel auf die Straße ging, habe ich die Machwerke wieder abgewaschen. Den Kindern war es nicht unrecht. Das stimmte mich zuversichtlich.
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