Flächendeckende Überdüngung: Trübe Gewässer
92 Prozent der norddeutschen Oberflächengewässer sind so mit Nährstoffen stark belastet, dass Umweltauflagen der EU nicht erfüllt werden.
LEER taz | Die „Wrrl“, wie die EU-Wasserrahmenrichtlinie kryptisch genannt wird, ist so kompliziert, wie es ihr Name andeutet. Niemand mag sich gerne damit befassen. Jüngstes Beispiel: WasserexpertInnen des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) haben routinemäßig die niedersächsischen Oberflächengewässer und den Küstenbereich nach Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor untersucht. Ihre Erkenntnisse sind alarmierend. Doch bei Vorstellung der Studie auf der zentralen Jahrestagung der Behörden und Verbände glänzten Umweltverbände mit Abwesenheit. Sie haben ihre Arbeitsgruppe „Wassernetz“ wegen Geldmangel aufgelöst.
Dabei birgt die Studie Sprengstoff. Sie weist flächendeckend die Belastung der niedersächsischen Oberflächengewässer – also Seen und Flüsse wie Elbe, Weser Ems – nach. Die EU-Wrrl gibt vor: Die Wasserqualität der Oberflächengewässer und der küstennahen Einflusszonen darf nicht verschlechtert werden, die Wasserqualität hat sich bis 2015 spätestens bis 2027 zu einem „guten Zustand“ zu verbessern. Dies entspräche der deutschen Wassergüte II.
Doch das Ergebnis der NLWKN-Studie ist Folgendes: 92 Prozent der Gewässer erreichen die EU-Ziele nicht annähernd und werden sie auch in Zukunft nicht erfüllen können. Die Gewässergüte der niedersächsischen Oberflächengewässer läge durchschnittlich zwei Stufen tiefer als „gut“. „Derzeit erreicht keiner der (Wasser-) Körper an der niedersächsischen Küste den guten ökologischen Zustand“, so die Erkenntnis des NLWKN.
Schuld an der Wassermisere sind Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor. Zwar benötigen Flora und Fauna diese Stoffe, werden sie aber künstlich in die Gewässer eingebracht, haben sie eine verheerende Wirkung. Der Abbau der organischen Stoffe zehrt Sauerstoff. Giftige Blaualgen in Seen vermehren sich prächtig. Die Artenvielfalt reduziert sich auf die Lebewesen, die mit Stickstoff und Phosphor besonders gut gedeihen. So verkaufen etwa die Fremdenverkehrsverbände jedes Jahr Algenwildwuchs an der Küste als „natürlich“ oder „wetterbedingt“.
Kern der EU-Wasserrahmenrichtlinie (Wrrl) 2000/60/EG ist die ökologische Verbesserung der Oberflächengewässer, um die Qualität von Trinkwasser zu sichern.
Maßnahmen, die den aktuellen Zustand der Gewässer verschlechtern, sind verboten. Dazu müssen einheitliche und vergleichbare Daten für die Schadstoffbelastungen erarbeitet werden.
Punktuelle Schadstoffquellen (Industrie, Kläranlagen) und diffuse Quellen (Landwirtschaft) werden nicht mehr getrennt, sondern zusammen betrachtet.
Die Wasserversorgung soll kostendeckend sein. Subventionen und Rabatte für Großkunden müssen wegfallen.
Die Abwasserbehandlung erfolgt nach dem jeweils aktuellen Stand der Technik.
„Die Gewässer in Norddeutschland haben alle ein großes Problem“, sagt Michael Bentler von der Grünen Liga Berlin. Die Initiative vernetzt freie Wasserinitativen. Zwei Faktoren sind für Bentler entscheidend für den Nährstoff-Überschuss. Die Landwirtschaft überdüngt ihre Anbauflächen. Die Massentierhaltung, Gülle und Dünger spielen dabei eine große Rolle. Und die staatliche Förderung von Biogas hat zu einem Boom dieser Anlagen und zu Maismonokulturen geführt. Damit wird das Wasser zweimal verseucht. Die Monokulturen waschen die Böden aus, Gärabfälle werden auf freien Flächen entsorgt“, so Bentler.
Von ungewohnter Seite bekommt der Naturschützer Beistand. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen weist in einem Schreiben darauf hin: „In Niedersachsen können aktuell 1.405 Biogasanlagen 8 % des hiesigen Strombedarfs erzeugen. Bei einem dafür benötigten Flächenbedarf von 276.000 ha bzw. 10,4 % der LF (Landwirtschaftlichen Fläche) sowohl für ihre Versorgung mit Gärsubstrat als auch für die Verwertung ihres Gärrestes stellt sich die Frage, ob das Land noch weitere Anlagen hergeben kann, um den Ausstieg aus der Kernenergie stemmen zu können.“ Die Flächen seien knapp geworden, in Regionen mit gleichzeitig hoher Viehdichte erhebliche Nährstoffüberschüsse entstanden, heißt es.
Der Wasserverband Peine verweist auf eigene Messungen in seinem Verbandsgebiet und warnt. Zwar sei hier das Trinkwasser noch gut, weil es aus etwa 100 Metern Tiefe abgezogen würde, aber: „Es gilt, den massiven Nitrateintrag (wesentlicher Träger von Stickstoff, die Redaktion) aus der Landwirtschaft so schnell wie möglich zu stoppen“, sagt Olav Schröder, Geschäftsführer des Wasserverband Peine. Und weiter: „ Angesichts des Düngeüberschusses ist auch bei uns eine Verschlechterung in tieferen Schichten zu erwarten, wenn nicht schnell gehandelt wird“, meint Schröder.
Selbst der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) mahnt immer wieder Maßnahmen zur Verbesserung der Oberflächengewässer an. Diverse Male hätte die EU und der EU-Rechnungshof einen besseren Wasserschutz in Deutschland angemahnt. Die BRD stände in Europa an vorletzter Stelle in punkto Wasserschutz. Würde nicht schnell gehandelt, müsse die BRD mit hohen Strafgeldern rechnen, so der VKU.
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