: Flächendeckend normal
Eine Ausstellung des Münchner Architekturmuseums im Stadtmuseum untersucht und vermißt das Bauen in Bayern 1933–1945 ■ Von Brigitte Werneburg
Keine „Architektur des Faschismus“ wird bedeutsam zur Schau gestellt – nur „Bauen im Nationalsozialismus“. Der bewußt spröde Titel ist das kritische Programm der Ausstellung des Münchner Architekturmuseums. Denn der „monumentale Aufbruch in die Modernität“, der dem Dritten Reich vornehmlich aufgrund seiner „speerlichen, kreislichen und troostlosen“ Repräsentations- sowie seiner von der Bauhaus-Moderne beeinflußten Industriebauten neuerdings gerne unterstellt wird, wird am Fallbeispiel Bayern in seiner konkreten Ausführung als HJ-Heim, Siedlerhäuschen, Schul-, Kirchen-, Verkehrs- und Verwaltungsbau, Neubauernhof, Industrieanlage und Konzentrationslager untersucht. Sämtliche 2.100 Gemeinden Bayerns wurden vom Ausstellungsverantwortlichen Winfried Nerdinger und seinen Mitarbeitern angeschrieben, um die gesamte Bau- und Planungstätigkeit zwischen 1933 und 1945 flächendeckend zu erfassen und kartographisch aufzuzeichnen. Die Ergebnisse sind brisant.
Die monumentalen NS-Aufmarsch- und Parteizentren, die für die fünf sogenannten Führerstädte Berlin, München, Hamburg, Nürnberg und Linz geplant waren, sollten, entsprechend verkleinert, auch in die dörflichen Gemeinden Einzug halten. Gleichwohl entstanden in solchen kleinen Gemeinden zumeist nur Behelfs- und Barackenbauten. Des weiteren zeigte sich eine in der Literatur allgemein negierte rege Bautätigkeit der Kirchen. Allein 300 Neubauten, Planungen, Um- und Erweiterungsbauten evangelischer und katholischer Kirchen entstanden zwischen 1933 und 1940 in Bayern. Besonders eindringlich illustriert die Ausstellung, wie das Agrarland Bayern mit einer Vielzahl von Industrie- und Militäranlagen zum strategisch genutzten Übungsraum und zentralen Produktionsstandort der Flugzeug- und Sprengstoffindustrie wurde. Wo, damit einhergehend, Industrie angesiedelt oder ausgebaut wurde, errichteten die Machthaber auch Konzentrationslager plus Außenstellen und Zwangsarbeitslager. Auf bislang nicht veröffentlichten Luftfotografien ist die Verflechtung von deutscher Industrie und Wirtschaft und menschenmordendem NS-Regime zweifelsfrei dokumentiert. Zum Beispiel Regensburg: „Im Süden und Südosten der Stadt entstanden ausgedehnte Kasernenanlagen, im Westen erstellte Messerschmitt ein neues Rüstungswerk, und für die Arbeiter wurden im Südwesten und Nordosten zwei Großsiedlungen (Göringheim und Schottenheim) errichtet. Die historische Stadt wurde von diesem Militär-, Industrie- und Wohnkombinat, das die alte Stadt im Größenvergleich weit übertrifft, eingeschlossen.“ Eine neue Donaubrücke, Schnellstraßen, ein Autobahnanschluß und der Ausbau des Hafens sollten den militärisch-industriellen Komplex versorgen. Gewiß wurde Bayern in solchen Planungen und einer solchen auf die Kriegswirtschaft ausgerichteten Industrialisierung modernisiert. Nur, was heißt das schon?
Das propagandistische Pathos der originalen Architekturfotografien von Nazibauten wird in den neuen Aufnahmen des amerikanischen Fotografen Michael Howells konterkariert. Eine Detailaufnahme zeigt die handwerklich solide gefugte Natursteinfassade der Reichssteuerschule in Herrsching/ Ammersee. Der Empfindlichkeit heutiger Architekturliebhaber gegen Silikonfugen spricht dies aber eher Hohn, denn hinter den Fotos der neoklassizistischen Paradebauten der Nazis verbirgt sich das geheime Bild von KZ-Häftlingen in den Steinbrüchen von Flossenbürg, Groß-Rosen, Natzweiler, Mauthausen oder den Ziegeleien von Buchenwald, Neuengamme, Sachsenhausen und Stutthof.
Dieses Bild arbeitet die Ausstellung heraus. Sie will den Besucher aber keineswegs durch eine spektakuläre „Inszenierung der Macht“ überrumpeln und ihn moralisch auf Vordermann bringen. Das zusammengetragene vielfältige Material wird in den hellen Räumen vielmehr sachlich-distanziert präsentiert. In einer Fülle von dokumentarischen Aufnahmen, von topographischen Karten, die das Zentrum der 15 Ausstellungskapitel bilden, von Architekturmodellen und -plänen enthüllt die Epoche ihren monströsen Charakter wie von selbst. Weder die Alltäglichkeit noch das Ausmaß der realisierten wie geplanten NS- Bauvorhaben sind je so einprägsam präsentiert worden. Von „Verführung und Gewalt“, „Faszination und Gewalt“ – oder wie weitere beliebte Varianten des Leitmotivs der NS-Betrachtung der letzten Jahre lauten mögen – bleibt nicht viel übrig. Diese herausragende Architekturausstellung belegt bestens, daß weder die monumental-totalitären Gebäudeformen noch das moderne Bauen einen wesentlichen Raum der NS- Bautätigkeit ausmachten. Vorherrschend war das Mittelmaß „bodenständiger“ Architektur für Bahnhöfe, Postämter, Schulen und Kasernen. Es war eine mediokre Modernisierung nach Maßgabe der Partei. Und unter der Maßgabe extrem beschränkter Finanzen: Der Wohnungsbau etwa, in der Weimarer Republik zentrales Anliegen und auch Schaustück der Architekturmoderne, wurde zugunsten von Aufrüstung und Industrialisierung kurzgefahren. Der meistgebaute Typ des Dritten Reichs war schließlich die genormte Baracke. Der Nationalsozialismus als flächendeckender Normalfall von Abens bis Zwiesel, wie auf den mehr als tausend Abbildungen des Katalogs präsent, wird zum Moment eines schockhaften Wiedererkennens. Denn die Form der – viel häufiger als angenommen noch immer vorhandenen – Dreißiger-Jahre-Bauten ist keineswegs unmittelbar kenntlicher Ausdruck eines nationalsozialistischen Stilwillens. Wie Winfried Nerdinger richtig bemerkt: „Nationalsozialistisch ist die gesamte gesellschaftliche Anordnung, nicht das einzelne Element.“ Darüber informiert der ausgezeichnete Katalog in angemessener Ausführlichkeit.
„Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933–1945“. Bis 9. Januar 1994 im Münchner Stadtmuseum. Katalog 54 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen