Fiskalpakat vorm Verfassungsgericht: Die grobe Prüfung des Schirms
Die Verfassungsklage um den Rettungsschirm und den Fiskalpakt könnte dauern. Das Gericht will sich inhaltlich damit befassen. Den Klägern geht es um die Demokratie.
KARLSRUHE taz | Das Bundesverfassungsgericht wird sich mit der Entscheidung über ESM-Vertrag und Fiskalpakt etwas mehr Zeit lassen. Die Richter wollen sich auch inhaltlich mit den Klagen befassen, deutete Andreas Voßkuhle, der Präsident des Gerichts, jetzt in der mündlichen Verhandlung an. Nach wie vor spricht aber wenig dafür, dass die Kläger mit ihren dramatischen Warnungen Erfolg haben werden. Das Urteil wird für September erwartet.
Bisher ging alles superflott. Erst vor zehn Tagen hatten Bundestag und Bundesrat dem ESM-Vertrag und dem Fiskalpakt zugestimmt. Postwendend reichten mehrere Klägergruppen ihre vorbereiteten Verfassungsklagen ein. Und nun verhandelte der Zweite Senat.
Die Kläger sehen vor allem im ESM-Vertrag eine völlig neue Qualität der europäischen Zusammenarbeit. Der neue Eurorettungsschirm mache aus der EU eine „Haftungs- und Transferunion“, argumentierte CSU-Rebell Peter Gauweiler. Diese dürfe aber nur realisiert werden, „wenn zuvor das Volk sein Plazet gegeben hat“.
Der Lobbyverein Mehr Demokratie betonte, dass es ihm nicht um Wirtschaftspolitik, sondern nur um die Demokratie gehe. Künftig solle jeder Integrationsschritt per Volksabstimmung gebilligt werden.
Für die Bundestagsfraktion der Linken argumentierte Gregor Gysi: „Das Grundgesetz wurde nicht für eine europäische Föderation geschrieben.“ Erforderlich sei eine neue deutsche Verfassung.
„Politischer Umsturz“
Der konservative Rechtsprofessor Karl-Albrecht Schachtschneider forderte das Gericht auf, den „politischen Umsturz zu beenden“.
Doch eigentlich sollte es am Dienstag noch nicht um den Inhalt der Klagen gehen, sondern nur um die Eilanträge der Kläger. Mit diesen Anträgen sollte der Bundespräsident gehindert werden, die beiden Verträge zu unterzeichnen, bevor Karlsruhe über die Verfassungsklagen entschieden hat.
Im Eilverfahren wird üblicherweise nur eine Folgeabwägung durchgeführt: Wäre es schlimmer, wenn die Unterzeichnung gestoppt wird, obwohl die Verträge nicht gegen das Grundgesetz verstoßen? Oder wiegen die Nachteile schwerer, wenn die Verträge unterzeichnet werden, obwohl sie sich am Ende als verfassungswidrig herausstellen?
Falsche Signale
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte vor großer wirtschaftlicher Unsicherheit, falls das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlässt.
So könnte die „Refinanzierung“ von EU-Staaten gefährdet sein. „Im Ausland wird bei einem Aufschub nur die Botschaft ankommen, dass die Klagen in Deutschland eventuell Erfolg haben können“, warnte Ulrich Häde, der Rechtsvertreter der Bundesregierung.
Die Kläger sahen keinen Grund für solche Aufregung. Der ESM-Rettungsschirm könne durchaus auch erst Mitte 2013 in Kraft treten, wie es ursprünglich geplant war. Bis dahin stehe der vorläufige Rettungsschirm EFSF noch zur Verfügung, betonte Dietrich Murswiek, der Rechtsvertreter von Gauweiler.
Einstweilige Anordnung vermeiden
Richter Voßkuhle leuchtete die Argumentation der Bundesregierung ein. Er will daher eine einstweilige Anordnung vermeiden, ohne den Rechtsschutz der Kläger zu unterlaufen.
Voßkuhle schlug daher eine ganz neue Form von Eilverfahren vor. Dabei würden die Richter neben der Folgenabwägung auch eine grobe Prüfung der Sachargumente vornehmen. Normalerweise spielen inhaltliche Argumente im Eilverfahren nur eine Rolle, wenn die Klagen offensichtlich unbegründet sind.
„Aber um zu wissen, dass etwas offensichtlich unbegründet ist, muss man die Materie schon sehr gut kennen – wozu wir nun keine Zeit haben“, beschrieb Voßkuhle das Dilemma des Gerichts. Eigentlich sollte das Eilverfahren in drei Wochen abgewickelt sein.
Die Zeit drängt
Ulrich Häde bot für die Bundesregierung an, dass man „einige Wochen länger“ warten könne, bis der Bundespräsident die beiden Verträge unterzeichnet. Auch in den 70er Jahren habe es schon einmal ein derartiges Verfahren gegeben – damals ging es um Klagen gegen den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag.
Bei der groben Prüfung der Klagen wird Karlsruhe nun untersuchen, ob die Klagen mit „großer Wahrscheinlichkeit“ erfolglos bleiben.
Große Chancen räumte Voßkuhle den Klägern nicht ein. Es gelte der gleiche Maßstab wie im September 2011 beim Urteil über den vorläufigen Rettungsschirm EFSF: „Wenn der Bundestag allen wesentlichen Entscheidungen zustimmen muss, ist das Demokratieprinzip gewahrt“.
Im Großen und Ganzen sah Voßkuhle auch beim ESM keine Probleme. Der Bundestag habe ein Kapital von 190 Milliarden Euro genehmigt, das nicht überschritten werden könne.
Gauweiler warnt vor den Risiken
Die Kläger um Gauweiler warnten jedoch vor Risiken. „Wenn der deutsche Finanzminister einfach nicht in den Gouverneursrat geht, dann kann der Bundestag auch sein Abstimmungsverhalten nicht steuern“, argumentierte der SPD-Abgeordnete Peter Danckert, der sich der Mehr-Demokratie-Klage angeschlossen hat. Voßkuhle fand derartige Probleme aber eher „konstruiert“.
Die Richter zeigten sich ausdrücklich davon beeindruckt, wie intensiv die Abgeordneten sich in den Wochen vor der ESM-Abstimmung mit dem Problem beschäftigt hatten.
„Da sind offensichtlich alle kritischen Punkte angesprochen worden“, stellte der federführende Richter Peter Huber fest. Über Details wurde erst nach Redaktionsschluss verhandelt.
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