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Archiv-Artikel

Fische im Glas

In der Zoologischen Sammlung der Uni Hamburg schwimmen Fische in Alkohol, gehäutete Faultiere schauen durch Glaswände. Die Zoologen sind stolz auf ihre „Bibliohtek der Natur“. Doch deren Zukunft ist ungewiss

Von außen betrachtet ist das Hamburger Zoologische Museum ein trister, gräulicher Betonblock. Doch nur wenige Schritte ins Innere des Gebäudes lassen den trostlosen Eindruck vergessen. Reglos und stumm thronen präparierte Tiere auf ihren Podesten. Aus Lautsprechern tönen entrückte Klänge, die an Sirenengesänge erinnern. Die im Raum verstreuten Walskelette legen jedoch eine andere Lösung nahe: Walgesänge.

Wale nehmen einen besonderen Platz im Zoologischen Museum ein, auch wenn sie manchmal gar nicht als solche zu erkennen sind. Ausgestellt hinter einer Glaswand prangen zwei meterlange, spitze Stoßzähne an einem sonst eher klein und harmlos wirkenden Schädel. Das Schild zum Exponat verrät die Geschichte dieses Fabelwesens. Es handelt sich um den Schädel eines weiblichen Narwals, der bereits 1684 nach Hamburg gebracht wurde. Bis 1886 befand sich der Schädel im Privatbesitz des Hamburger Oberalten P. F. Röding, eines reichen Kaufmanns, der zu Lebzeiten mit seinen merkwürdigen Sammlungen Aufmerksamkeit erregte. Im Jahre 1943 überstand der Schädel als einziges Stück der Schausammlung einen Bombenangriff auf das alte Museumsgebäude. Der Schädel ist einmalig: Die doppelten Stoßzähne sind bei Narwalen selten. Alle Schädel, die über diese Besonderheit verfügen, stammen von männlichen Tieren – mit Ausnahme des Hamburger Exemplars.

Die Schausammlung ist der Öffentlichkeit zugänglich, doch die Bestände des Zoologischen Museums erstrecken sich noch viel weiter, lagern in zahllosen Kellerräumen und verschlungenen Etagen. Der Museums- und Institutsleiter Professor Lothar Renwrantz und sein pensionierter Kollege Professor Harald Schliemann führen durch karg beleuchtete, verschachtelte Gänge. Diverse Warnhinweise und der leicht muffige Geruch wirken wenig einladend, doch schon hinter der ersten Tür, die Professor Renwrantz mit einem der vielen Schlüssel an seinem Bund aufsperrt, bietet sich ein seltenes Bild: Durch den ganzen Raum erstrecken sich Regalreihen mit Tausenden von Glasbehältern, gefüllt mit in Alkohol eingelegten Meerestieren. Die Beschriftungen auf den versiegelten Gläsern verraten die Art, das Alter und den Fundort. Von Nord- bis Südsee sind alle Weltmeere vertreten. Durch die Alkoholkonservierung erstaunlich gut erhalten, leuchten die leblosen Tiere in schillernden Farben vor sich hin.

Viele der hier gelagerten Tierpräparate überstanden die Zerstörung des alten Museumsgebäudes im Zweiten Weltkrieg rein zufällig. Große Teile der Zoologischen Sammlung waren damals ausgelagert, weil die vielen in Alkohol eingelegten Tierpräparate einen gefährlichen Brandherd darstellten. Der einzige Schaden, der den in einem U-Bahn-Tunnel untergebrachten Objekten zugefügt wurde, war ein Alkoholdiebstahl im Jahre 1946. Siegfried Lenz hat den Vorfall verarbeitet – in „Lehmanns Erzählungen – So schön war mein Markt“. Dort berichtet ein Schwarzhändler stolz, wie er nach dem Krieg ausreichend Schnaps für eine Siegesfeier der Alliierten besorgt, indem er „Reptilien und Frösche von ihrer Alkoholumhüllung befreit“, und sie „vergnüglicheren Zwecken“ zuführt.

Ein besonders skurriles Bild bietet der Riesenanglerfisch, der in einem gesonderten, großen Glaskanister in einer Ecke des Raumes ruht. Auf der Oberseite des Fisches ufert ein Teil der Schwanzflosse zu einer Art Angelrute aus, an deren Ende sich ein Leuchtorgan befindet. In tiefen, dunklen Gewässern dient dieses Licht zum Anlocken von Opfern. Dies ist nicht die einzige anatomische Besonderheit dieser seltsamen Kreatur. An dem massiven Körper des weiblichen Fisches befindet sich eine kleine, deformierte Fischgestalt – das so genannte „Zwergmännchen“, das nach der Begattung zu einer unzertrennlichen Einheit mit dem Weibchen festwuchs. Im Ozean sei es nun mal schwierig, den passenden Partner zu finden, so die Erklärung von Professor Renwrantz.

Separat in einem verschlossenen Eisenschrank sind einige hundert Gläser mit roten Binden untergebracht. Sie sind mit Schweinsblasen originalversiegelt und enthalten „Typusmaterial“, das jeweils erstgefundene Exemplar einer Art. Die Funde sind teilweise über hundert Jahre alt, auf der Rückseite der Glaszylinder prangen noch die vergilbten Originalbeschriftungen. In verschnörkelter Schrift steht dort beispielsweise „Barbus Pagenstecheri“, gefunden 1884 im „Massailand, Kilimandscharo“ von „Herr Fischer“. Dr. Pagenstecher war der damalige Direktor des Hamburger Naturhistorischen Museums. Der Fisch stammt aus der umfangreichen Privatsammlung des Hamburger Kaufmanns Johann Cesar VI. Godeffroy, die er von seinen Handelsreisen aus der Südsee mitbrachte.

Professor Renwrantz zieht erneut seinen Schlüsselbund, die nächste Türe öffnet sich. Voller Stolz führen der Museumsdirektor und sein pensionierter Kollege durch die Sammlung. Nur um den hübschesten Teil der Sammlung, Tausende sorgfältig aufgespießter Schmetterlinge, würden sie am liebsten einen Bogen machen. Mit dem Klischee des „Schmetterlinge fangenden, weltfremden Zoologen“ wollen sie nichts zu tun haben.

Lieber zeigen die beiden Wissenschaftler eingelegte Säugetiere, die in meterhohen Glaszylindern die Zeit überdauern. Einige der riesigen, konservierten Schuppentiere sehen aus, als wären sie der antiken Mythologie entsprungen. Bei einem Faultier sind Fell und Krallen erhalten, seltsam nackt wirkt ein Ameisenbär, dem Fell und Gehirn wegpräpariert worden sind. Die zusammengekrümmte, gehäutete Gestalt ist abstoßend und zugleich geheimnisvoll. Der säuberliche rechteckige Schnitt in der Schädeldecke markiert die Stelle, aus der das Gehirn entfernt wurde.

Eine „Bibliothek der Natur“ sei die Sammlung der Hamburger Zoologen, sagt Professor Renwrantz. Man muss sich nur darin zurechtfinden. Yasemin Ergin