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Fisch mit Fahrrad

Die Bestsellerromane für die emanzipierte Frau sind richtig schöne Märchen. Immer will die Heldin einen russischen Dichter lieben.  ■ Von Ewa Maria Slaska

In der von Feministinnen ersehnten Frauenwelt, in der alles weiblich oder weiblich bestimmt ist, gibt es jetzt auch Märchen. Es geht hier um vier postmoderne feministische Märchenbücher – zwei aus den USA und zwei aus Deutschland. Es sind vier fabelhafte Stories, gut und mit Pep geschrieben, wirklich interessant. Und sie haben sympathische Hauptpersonen, mit denen frau sich identifizieren kann. Kein Wunder, daß sie viel gelesen werden und enthusiastische Besprechungen bekommen. Der Berliner Tagesspiegel beispielweise schrieb: „Die Menschen werden sich daran erkennen, daß sie dieses Buch lesen.“

Ach ja, die Titel – es sind zwei Romane von Elisabeth Dunkel, „Fisch ohne Fahrrad“ und „Unterm Moskitonetz“, sowie zwei panfeministisch-germanische Werke von Eva Heller, „ Beim nächsten Mann wird alles anders“, sowie „Der Mann, der es wert ist“. Der Enthusiasmus ist berechtigt – die Sachen lassen sich sehr gut lesen. Aber ... Aber nicht deshalb, weil sie – wie behauptet wurde – die von Frauen erlebte Wirklichkeit wahrheitsgetreu darstellen, sondern im Gegenteil: Weil sie der Realität so fern bleiben wie eine schöne Utopie, wie ein Märchen ihr immer fernzubleiben vermochte. Märchen haben zwar immer auch die herrschenden sozialen Verhältnisse widergespiegelt, geliebt wurden sie aber stets wegen ihrer tröstenden Funktion. Sie ließen die Gerechtigkeit siegen und rüsteten die Schwäche mit Güte und Schönheit aus. Die Verfolgten unserer Erde, im Leben so unterdrückt, erlebten durch die Märchen ihren moralischen Sieg.

In der gelobten spätfeministischen Literatur stecken alle nötigen Elemente eines klassischen Märchens: Es ist dort jemand auf der Suche nach Gerechtigkeit und Glück, der Weg zum Glück ist sehr spannend und voller Abenteuer, es sind Hürden, Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden, und es gibt auch die nötigen Portionen Glück (sprich: Happy-End) und Moral, ohne die ein Märchen gar kein Märchen wäre, sondern ein Melodram (die Version ohne Glück) oder ein kitschiger Arztroman (die Version mit Happy- End). Aber die Moral ist, Göttin sei Dank, da.

1/Die Heldin

Das ist die Prinzessin, von bösen Kräften verfolgt, die sie bekämpfen muß. Die erwähnten vier Romane nehmen ein bisher unbekanntes Wesen unter die Lupe: eine emanzipierte Frau, die schon so emanzipiert ist und in einer schon so emanzipierten Welt lebt, daß sie ihre Emanzipation als selbstverständlich wahrnimmt und ganz einfach frei auslebt. Es sind also keine Kampfromane aus der heldenhaften Geschichte der Frauenbewegung, und es gibt keine Thematisierung, Verbalisierung oder Strukturalisierung der Frauenproblematik. Genausowenig wie die berühmt-berüchtigte Frauensolidarität. In der postmodernen Epoche des Spätfeminismus steht uns eine sehr selbstbewußte Frau gegenüber, die sich ihr Glück alleine sucht. So wie es sich in einem Märchen gehört. Das Prinzessinnenartige an diesen Frauen ist nicht zu übersehen. Sie sind jung – blutjung, sehr jung oder einfach jung, im Stil des Postmodernismus, in dem eine Frau um die 30 sicherlich immer noch als jung zu bezeichnen ist. Sie sind schön – hübsch, attraktiv, auf keinen Fall nur interessant. Sie sind modebewußt und gut angezogen – in der ersten Phase des Märchens vom Designer gekleidet, in der zweiten fähig, im Nu aus Nichts etwas Wunderbares selbst herzustellen. Sie haben Traumberufe, die sie lediglich dank ihrer Begabung und unglaublichen Intelligenz bekamen oder gerade im Laufe des Romans bekommen. Wenn sie noch studieren, dann auch etwas Traumhaftes, zum Beispiel an einer Filmhochschule. Wenn sie abgeschlossen haben, dann Innenarchitektur. Die Amerikanerinnen sind dabei gleichzeitig erwerbstätig, als Werbefrau oder Redakteurin in einer super Frauenzeitschrift. Die Deutschen sind es noch nicht, aber er kommt, der Weg zum Glück, er kommt. Sie sind intelligent und ironisch – wie wäre es heutzutage anders möglich – jeder Mensch, nicht nur jede Frau sollte sich schämen, wenn er oder sie unfähig ist, Sinn für Humor und Ironie aufzuweisen. Sie machen mit links Karriere, legen aber keinen besonderen Wert darauf, eine zu machen, weil eine Frau im Spätfeminismus zwar auf keinen Fall scheitern darf, es ziemt sich aber nicht, daß sie sich besonders um Geld bemüht. Immerhin sind die Prinzessinnen, die arbeiten, auch wohlhabend.

2/Die Hindernisse

Den Amerikanerinnen, da sie eine Arbeit haben, geht es um Persönliches. Den Deutschen um beides auf einmal: Beruf und Privatleben. Die bösen Hindernisse können die auf dem Arbeitsmarkt herrschenden Drachen, pardon – Regeln –, sein, aber das ist zweitrangig. Das Böse in den Geschichten sind vor allem die Mitmenschen. Die sind keine Monster, sondern ganz einfach Menschen. Damit bezeugt die Schriftstellerin ihre soziale Ader – sie kritisiert nämlich die Gesellschaft. Die Menschen sind dumm, manchmal schrecklich dumm, haben kein Gefühl für Schönheit, keine Ahnung davon, was gerade „in“ ist, sind total unterentwickelt, nicht emanzipiert, scheußlich spießig, snobistisch, heuchlerisch, verstellt, auf Karriere orientiert, geizig, verschwenderisch, schlecht angezogen, dreckig, dick, nicht schön, nicht jung, nicht die junge, schöne Frau ..., also der Mann, des Mannes KommilitonInnen (beide Geschlechter), des Mannes Mutter und Schwester, die eigene Schwester, der eigene Bruder, seine Freundin, egal wer – Mensch. Schon beim ersten Roman entsteht in der Leserin ein Gefühl, daß sie zum schlechteren Teil der Menschheit gehört, an dem die Prinzessin immer etwas auszusetzen hätte. Weil den Prinzessinnen nichts gut genug ist und sie alles kritisieren, was nicht von ihnen selbst stammt. Und wenn sie schon die Nase voll haben von all diesen schrecklichen Menschen rundherum, dann verschwinden sie ganz romantisch und originell – sie fahren weg in die Wildnis. Die Wildnis ist zwar sehr wild, wie Wildnis eben, hat aber heißes Wasser und ein Café um die Ecke. Und ein paar Intellektuelle dazu. Die sind Menschen und daher unerträglich. Fürwahr: Schwer ist der Weg zum Glück: So vielen Menschen kann frau auf ihm zu begegnen. Und sonst ist sie so mit ihrem guten Geschmack, ihrem kritisch-brillanten Verstand und unglaublicher Originalität allein, sooo! allein. Und sucht das Glück.

3/Das Glück: ein Mann

Obwohl nur bei Eva Heller der Mann schon im Titel auftaucht, geht es in allen vier Geschichten um den einen. „Unterm Moskitonetz“ wird einer mit der Frau schlafen. „Fisch ohne Fahrrad“ ist ein vom deutschen Verleger willkürlich geänderter Titel. Was der Roman tatsächlich vermitteln wollte, ist, daß nämlich (Originaltitel) „jede Frau einen russischen Dichter lieben will“. Und wenn sie den nicht kriegt, dann kriegt sie doch einen anderen. Ja – in all diesen Geschichten geht es darum, einen richtigen Mann zu kriegen. Die ganze Kritik an anderen Frauen und allen Männern schwindet und schmilzt, wenn der Mann endlich da ist. Gleichzeitig mit ihm (wenn auch nicht immer von ihm abhängend) kommt auch die Arbeit, das Geld, der Erfolg. Und die FeindInnen, zum Beispiel des vorherigen Mannes Mutter, sind alle platt. Und wie sie dann unsere schöne, junge, glückliche, beruflich erfolgreiche Prinzessin beneiden! Das Gute ist belohnt, das Böse bös bestraft.

4/Moral und Happy-End

Richtig so! Alle diese FeindInnen haben nichts besseres verdient, als die Prinzessin um ihr Glück zu beneiden. Denn nur eine schönejungeselbstbewußtemanzipiertesuperintelligentironischzynischesehrs enbileeinzigartige Frau wird im Leben belohnt.

Nichts gegen ein Happy-End. Weder im Leben noch in einer Geschichte. Es ist auch toll, einen richtigen Mann zu lieben und von ihm geliebt zu werden. Auch Intelligenz, Erfolg, Originalität, Selbstbewußtsein sind wirklich super Eigenschaften. Ich würde auch gern in einem Märchen leben. All diesen Geschichten fehlt nur das eine: das Eingeständnis, daß sie schöne Märchen sind.

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