■ Firmentheater: Neue Formen der Belegschaftstherapie: Theatralische Expositionen
Theaterliebhaber aus dem oberfränkischen Städtchen Hof dürfen einen echten Filigrantechniker der Theatertheorie ihren Intendanten nennen. „Kunst fängt mit K an wie Käse, Käse kann man verkaufen, also kann man auch Kultur verkaufen“, proklamiert Uwe Drechsel vor der Presse, und damit ist er bei Jürgen Bergmann von der Firma Transico genau an der richtigen Adresse. Bergmann nämlich organisiert derzeit „das erste Forum für Theaterarbeit im Dienst der Wirtschaft im deutschen Sprachraum“, den Kongreß „Business goes Theater“, der Mitte September stattfinden soll – im Theater Hof.
Drechsel ist stolz darauf: „Wir schotten uns nicht ab als reiner Musentempel.“ Bergmann scheut sich derweil nicht, in diesem Zusammenhang einen anderen Menschen liebevoll einen Hofnarren zu nennen: Emil Herzog macht „Replay-Feedback-Theater“ und kann bei seinen Auftritten in Betrieben lauter Sachen lustig machen, die ansonsten Sand im Getriebe der Belegschaft blieben.
„Business goes Theater“ – das bedeutet laut Pressemappe: „Theaterarbeit im Personalbereich einsetzen“. Genauer: Unternehmen bestellen Theatertruppen, die nach einem gewieften Briefing durch die Produzenten die Probleme des Betriebes auf die Bühne bringen, ja geradezu „thematisieren“, wie Bergmann es nennt: „Wie in der Auseinandersetzung mit der Seins-Frage im Faust wird etwas thematisiert, was in der Luft hängt.“ Der Theater- und Businessmann meint vermutlich etwas, das in der Luft eher liegt, doch sein Projekt ist ihm Passion, und ein glühend' Herz hat schon so manchen Schöngeist über den Fallstrick Metaphernflut stolpern lassen.
„So werden verkrustete Strukturen aufgetaut“, erläutert Bergmann weiter und berichtet als Beispiel von einer geglückten Intervention eines Betriebstheaterbetriebs: In einem Unternehmen war „Mißstimmung aufgrund von Sozialleistungsabbau“ aufgekommen. Der mutmaßlich demotivierenden Tränenseligkeit der Arbeiterschaft rückte eine einfühlsame Komödianten-Combo mit einem „überzogen witzigen Stück“ zuleibe. Ergebnis: „Die Leute haben über das, was ihnen eigentlich weh tut, gelacht.“ Wieder einmal hatte die Bühnenkunst ihres Amtes gewaltet. „Auf der Ebene der Imagination, der Phantasie, Visionen schaffen – diese Funktion hat Theater schon immer gehabt.“ Außer bei Brecht vielleicht, fügt der taz-Reporter in Gedanken hinzu und bedauert zum wiederholten Male das disfunktionale Rauchverbot.
In Hof sollen im September die Leckerbissen angewandter Theaterkunst zur Aufführung gebracht werden. Der Kongreß beginnt mit einer „Inszenierten Begrüßung in drei Akten“ durch das OPuS Consulting Team, auf daß die Anwesenden umgehend in vorbehaltlosen Kontakt zueinander treten mögen. Bergmann will nicht zuviel verraten, nur soviel: „Es kommt Eis ins Spiel – und heißes Wasser.“ Auch die Daimler-Benz AG kommt ins Spiel. Das Ensemble Dein Theater bringt in deren Auftrag das Stück „Der Mensch im Staat von Morgen“ zur Aufführung. Das Erste deutsche Management-Kabarett Chaos und Partner betritt die Szene mit einem bunten Programm namens „Nieten gibt's nicht nur in Nadelstreifen“. Undsoweiter. Vertiefung in Workshops.
Zwei Tage volles Programm, bei dem natürlich auch die Wissenschaft nicht fehlen darf: Das Institut für Management der Freien Universität Berlin rückt mit zwei Diplomanden an, ein Professor mit dem einprägsamen Namen Georg Schreyögg hält einen Vortrag mit dem einprägsamen Titel „Unternehmenstheater als Intervention: Zur Bedeutung theatralischer Exposition für das Veränderungsmanagement“. Disserteure, übernehmen Sie!
Klar, daß sich für ein derart zeitgemäßes Spektakel Bündnispartner gefunden haben. Auch die Industrie- und Handelskammer Oberfranken ist mit von der Partie. Deren Geschäftsführer Dr. Bodo Schultheiß findet: „Diese Initiative, für Deutschland neu, paßt sehr gut zu Oberfranken.“ Als ehemaliges Zonenrandgebiet bekomme man gerade ein neues Image, dazu gehöre Lebensqualität im weitesten Sinne – auch Kultur. So sieht es selbstredend auch Intendant Drechsler, der „Ort und Geist des Hauses zur Verfügung stellen“ will. Anwürfen gegen den neuen Kapitalistischen Realismus, in dem sogar Brecht-Elemente Verwendung finden sollen, begegnet er mit einem Uhland-Zitat: „Andere Zeiten, andere Musen“. Holger Wicht
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