Firmen ohne Ökoumlage: Billiger Strom gratis
734 Firmen müssen den Ökoaufschlag des Erneuerbare Energien-Gesetzes nicht zahlen. Strom kriegen sie natürlich trotzdem. Die taz hat sie dokumentiert.
Während die Politik noch überlegt, wie sie Hartz-IV-Empfänger vor den Kosten der Energiewende verschont, bekommt der Milliardär Jürgen Großmann den Strom für seine Unternehmungen längst zum Sozialtarif. Der Exchef des Energiekonzerns RWE ist Alleingesellschafter der Georgsmarienhütte bei Osnabrück.
Die Stahlschmelze gehört zu den 734 Unternehmen, die von der Ökostromumlage befreit sind. Für jede Tonne Stahl bekommt Großmann 20 Euro von den Verbrauchern über die sogenannte besondere Ausgleichsregelung erstattet.
Insgesamt zahlen die Verbraucher der Industrie 2,5 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr werden es schon über 4 Milliarden Euro sein, ergab eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Bundestag. „Die Zeche zahlen vor allem einkommensschwache Haushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen“, kritisiert der Grünen-Energiepolitiker Hans-Josef Fell.
Dabei ist die Ausgleichsregelung eine sinnvolle Sache. Der Rabatt soll Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie gegenüber Chemiefabriken in Frankreich oder Stahlhütten in Indien schützen. Bisher war aber nicht klar, ob tatsächlich nur solche Unternehmen den Rabatt erhalten, die Konkurrenz aus Billigstromländern fürchten müssen.
Die taz forderte deshalb beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Liste mit den 734 begünstigten Unternehmen an. Wie viel jeder Betrieb bekommt, wollte die Behörde aber nicht preisgeben.
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Auf der Liste der Empfänger stehen neben Stahlschmelzen auch Firmen wie der Himmelsberger Mineralbrunnen und die Wiesenhof-Geflügelschlachterei Möckern. Angesichts dieser Bandbreite kritisieren Umweltschützer mangelnde Transparenz, wie der internationale Wettbewerbsdruck festgestellt wird.
Es war die stürmische Zeit kurz nach der deutschen Einheit und eine seltsame Koalition. Im Jahr 1990 werkelten Abgeordnete der CSU und der Grünen gemeinsam an einem Gesetz, das am 1. Januar 1991 in Kraft treten sollte: das Stromeinspeisungsgesetz. Im Bundestag flog es einige Male fast von der Tagesordnung, schließlich standen wichtige Debatten über die Wiedervereinigung an. Am Ende ging das Gesetz als eine Art Ökospinnerei für Bayern und Grüne durch.
Damit waren jedoch die Grundlagen gelegt, wie noch heute erneuerbare Energien hierzulande gefördert werden. Wer etwa ein Windrad oder eine Solaranlage errichtet, bekommt für den erzeugten Strom über einen bestimmten Zeitraum einen staatlich garantierten Preis. Ohne diese Einspeisevergütung würden sich Anlagen in Konkurrenz zu fossilen Energien nicht lohnen - auch weil die Belastungen für die Umwelt durch die Verbrennung von Kohle oder Gas nicht auf der Stromrechnung auftauchen. Die Betreiber der Netze sind verpflichtet, den Strom zu kaufen. Die Kosten für die bevorzugte Einspeisung dürfen sich die Unternehmen aber von den Kunden über eine Umlage auf den Strompreis zurückholen, abzüglich dessen, was sie durch den Verkauf des Stroms aus Wind, Sonne oder Biogas erlöst haben.
Das System schaffte Investitionssicherheit und sorgte für einen Boom der erneuerbaren Energien. Von 1990 bis 2011 hat sich ihr Anteil an der Stromversorgung versiebenfacht und lag im ersten Halbjahr 2012 bei 25 Prozent. Die rot-grüne Bundesregierung verbesserte, überarbeitete und verfeinerte das Gesetz, seit April 2000 heißt es Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG. Ende 2011 haben weltweit 69 Staaten das EEG kopiert.
„Die Bahn hat noch massive Energiesparpotenziale“
„Wenn einige Betriebe den Rabatt erhalten, warum bekommen ihn dann andere aus der gleichen Branche nicht?“, wundert sich Thorben Becker vom BUND. Zementwerke und der Kohlebergbau hätten keine Konkurrenz aus dem Ausland, kritisiert Becker. Zu den Empfängern zählen die Braunkohlegesellschaft von Vattenfall und die Ruhrkohle AG.
Auch die Deutsche Bahn AG und kommunale Straßenbahn- und S-Bahn-Betriebe sollten laut BUND die Ökostromumlage zahlen. Denn: „Die Bahn hat noch massive Energiesparpotenziale“, sagt Becker. Statt dem Nahverkehr Rabatte einzuräumen, solle Autofahren höher besteuert werden.
Um die Abhängigkeit der Industriebetriebe von internationalen Stromkosten zu messen, solle ein neues Kriterium eingeführt werden, hat der Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, im Interview mit der taz gefordert. „Man könnte sich an der Handelsintensität orientieren, also dem Anteil der gehandelten Güter am Gesamtangebot der Branche“, sagte Flasbarth. Eine „praktikable Option“ nennt das auch Juri Horst vom IZES-Institut, der das Umweltministerium berät.
Von den Unternehmen werde zudem keine Gegenleistung verlangt, kritisiert der Wissenschaftler. Zwar müssen die Industriebetriebe für den Rabatt nach Energiesparmöglichkeiten suchen. Tatsächlich Strom sparen müssten die Betriebe aber nicht, sagt Horst.
Harter internationaler Wettbewerb
Auch für Unternehmen, die tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen, könnte der Rabatt laut Experten etwas weniger großzügig ausfallen. Stahlunternehmen würden ohne Weiteres eine Umlage von 0,5 Cent pro Kilowattstunde verkraften, sagt Jochen Diekmann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
„Das wäre immer noch eine Ermäßigung um 90 Prozent.“ Großmanns Tonne Stahl würde dadurch um 3 Euro teurer. Von Rabatten ausgenommen werden, könnte, laut BUND, auch ein kleiner Kreis von Unternehmen: Produzenten von Siliziumscheiben, die für Solarmodule benötigt werden. Die Vergünstigung erhalten die Firmen Crystalox, Siltronic und die Solarworld-Tochter Deutsche Solar.
Ausgerechnet jene Unternehmen, die sich von allen anderen Verbrauchern über die Ökostromumlage ihre Produkte bezahlen lassen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien rechtfertigt die Ausnahmen: Die Solarfirmen stünden in hartem internationalem Wettbewerb.
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