piwik no script img

Finnland hebt Grundrechte ausSchnüffeln ist legal

Ein neues Gesetz in Finnland erlaubt Firmen, den elektronischen Datenverkehr ihrer Mitarbeiter zu überwachen. Ein Anlass dafür ist nicht notwendig.

In Finnland darf jetzt der Chef jederzeit die elektronische Post kontrollieren. Bild: dpa

STOCKHOLM taz Was sich in Deutschland Firmen wie Telekom oder die Bahn illegal erlauben, ist nun in Finnland gesetzlich sanktioniert. Am Mittwoch verabschiedete der finnische Reichstag ein Gesetz, das Firmen die Überwachung des elektronischen Datenverkehrs ihrer MitarbeiterInnen ermöglicht. Offiziell hat das Gesetz den Zweck, Industriespionage zu erschweren. Kritiker sprechen von einem Aushebeln bürgerlicher Grundrechte und einem Verstoß gegen die Verfassung.

Arbeitgeber dürfen in Zukunft ohne konkrete Verdachtsmomente und ohne vorherige Einschaltung von Polizei oder Justiz automatisch und systematisch die "Metadaten" des E-Mail-Verkehrs registrieren und kontrollieren: Absender und Adressaten, sowie die Größe der Mails. Einer nachträglichen Benachrichtigung des Angestellten, in dessen Mailverkehr derart herumgeschnüffelt wurde, bedarf es nicht. Das Gesetz gilt für alle unternehmerische Tätigkeiten, also beispielsweise auch für Vermieter.

Die Regierung verteidigt dies damit, dass auch diese ein Recht haben könnten, durch eine solche Überwachung Bewohnern auf die Spur zu kommen, die durch großen Datenaustausch ein internes Datennetz überlasten und damit dem Unternehmen einen Schaden zufügen könnten.

Das Gesetz bekam den Spitznamen "Lex Nokia". Der Handykonzern Nokia gilt nämlich als eigentlicher Initiator der Aufweichung des Datenschutzes. Nokia soll direkten Druck auf die Regierung ausgeübt und mit einer Verlagerung des Konzernsitzes gedroht haben, sollten ihm entsprechende gesetzliche Überwachungsbefugnisse nicht eingeräumt werden.

Offiziell haben sowohl Nokia wie Regierungschef Matti Vanhanen eine solche Einflussnahme bestritten. Doch neben zahlreichen anonymen Informanten bestätigte vor einigen Tagen erstmals auch ein hoher Regierungsbeamter persönlich diese Drohungen.

Für die zur Koalition gehörenden Grünen, die mit Tuija Brax auch die Justizministerin stellen, hatte sich "Lex Nokia" zu einer Zerreißprobe entwickelt. Doch ließ sich schließlich eine Mehrheit der Fraktion auf Regierungslinie bringen. Die sozialdemokratische und linke Opposition stimmte gegen das Gesetz. Bürgerrechtsgruppen kündigten die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

10 Kommentare

 / 
  • N
    Nokiatag

    Das war einmal:

    Vor dem Gesetz sind alle gleich....

    aber manche sind eben gleicher, sie brauchen nicht mehr gegen Gesetze zu verstoßen, sie lassen sich die Gesetze im Nokia-Reichstag machen, sozusagen Maßschneidern.

     

    Das ist aber keine finnische Spezialität, den Deutschen Bundestag könnte man auch gleich umbenennen in EON- Tag oder Mercedes- Tag, meistbietend versteht sich.

  • CW
    Change we can believe in

    "Tja, das war das mit der Demokratie. Endlich ist die Plutokratie offiziell."

     

    Und wie man an der Mehrzahl der Kommentare hier leicht erkennen kann, haben die meisten Untertanen sogar noch größten Spaß dabei, sich zu billigen Handlangern der Neofeudalisten zu machen...

  • S
    sInDy

    Also obs hier zu lande nicht schon seit Jahren genauso wäre...

  • P
    Peter

    @anke

     

    Und wo liegt das Problem?

     

    Wenn ich hierzulande als Arbeitgeber festlege, dass meine Firmeninformatik nur zu Firmenzwecken genutzt werden darf, dann kann ich heute schon protokollieren. Mein Netz - meine Regeln.

     

    Ich betreue unter anderem das Netz eines Steuerberaters. Der ist per Gesetz für jede Kommunikation aus und in seine Firma voll verantwortlich. Resultat: Es wir alles gespeichert, nicht nur "Metadaten". Jede Mail die reinkommt und jede die rausgeht wird zentral archiviert.

     

    Wer private surfen und Mails verschicken will soll das zuhause, von seinem eigenen Anschluss aus tun. Nicht im Firmennetz.

     

    An den Zensor der TAZ: Ich halte den Autor des Artikels noch immer nicht für sonderlich kompetent.

  • A
    anke

    @Peter:

    Ich kenne mich ja nicht so aus in Finnland, aber ich nehme doch an, Gesetze gelten auch dort (zumindest theoretisch) ohne Ansehen der Person für jeden Bürger gleich. Wenn also ausnahmslos alle Unternehmen schnüffeln dürfen, ein stolzer Arbeitnehmer die Chef-Schnüffelei jedoch nicht tolerieren will, kann er zwar kündigen, sicherer ist er nachher allerdings auch nicht. Es sei denn, er verzichtet in Zukunft ganz auf einen Arbeitsvertrag und gründet statt dessen eine Ich-AG. Dann ist er fein raus. Sofern er nämlich ein sogenanntes Selbstvertrauen besitzt, muss er als Chef seiner selbst gar nicht wissen wollen, wem er schreibt und was genau. Er braucht sich also auch nicht zu kontrollieren.

  • P
    Peter

    Was er hier bemängelt, dürfen Arbeitgeber im Prinzip schon immer. Was da "überwacht" wird, ist nichts weiter als der Blick auf den Einzelverbindungsnachweis des Telefonanschlusses.

     

    Es ist nun einmal das Netzwerk des Arbeitgebers, von dem wir hier reden. Und damit gelten auch seine Regeln. Wem das nicht gefällt kann ja kündigen.

     

    Nebenbei: Wer sich über das Gesetz in Finnland aufregt, sollte sich mal die hiesigen Bestimmungen zur Archivierung des geschäftlichen E-Mail Verkehrs ansehen. Viel Spass dabei.

  • C
    Christian

    Tja, das war das mit der Demokratie. Endlich ist die Plutokratie offiziell.

     

    Zu einem Detail: "Megadaten"? Sind nicht vielmehr die Metadaten, also nicht der eigentliche Inhalt sondern das informationelle Beiwerk, die Daten über die Daten eben, gemeint?

  • H
    Habemuth

    Vermutlich ist hier gemeint, dass Finnland die Grundrechte aushebELt.

     

    Ausheben kann man zum Beispiel eine Jauchegrube, das könnte man z.B. bei der Nazirazzia verwenden. :-)

  • EW
    Eike Welk

    Das Wort "Megadaten" ist sicherlich ein Schreibfehler; höchstwahrscheinlich sind "Metadaten" gemeint.

     

    Firmen und Vermieter dürfen also nicht der Inhalt der Kommunikation überwachen, sondern Informationen wie Empfänger und Absender von E-Mails.

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Metadaten

  • R
    runzbart

    Liebe Redaktion,

     

    mit den "Megadaten" im Artikel sind wahrscheinlich die Metadaten gemeint.