Finnischer Frachter Arctic Sea: Geisterschiff schlägt hohe Wellen
Seit über zwei Wochen ist der finnische Frachter "Arctic Sea", in russischem Auftrag nach Algerien unterwegs, spurlos verschwunden. Offiziell hat er bloß Holz an Bord. Und was noch?
STOCKHOLM taz | Piraten in der Ostsee? Oder im Atlantik? Drogenschmuggel? Oder eine geheime Waffenladung? Die russische Mafia? Oder ein Streit um das Eigentum an Schiff oder Ladung? Und warum zeigt die russische Marine jetzt ein so ungewöhnliches Interesse an einem kleinen Holzfrachter? Die Spekulationen über das verschwundene Frachtschiff "Arctic Sea" treiben jeden Tag neue Blüten. Die abenteuerlichste, am Freitag: Das Schiff sei vor den westafrikanischen Kapverden gesichtet worden.
Die "Arctic Sea", 1991 als "Ochotskoje" auf einer türkischen Werft für die russische Reederei Sakhalin Shipping gebaut, gehört der Reederei Solchart Management in Helsinki. Hinter dieser Reederei stehen drei russische Geschäftsleute in Finnland. Das 4.000-Tonnen-Schiff, registriert unter der Billigflagge von Malta mit 15 Besatzungsmitgliedern, nahm zwischen dem 20. und 22. Juli im finnischen Ostseehafen Jakobstad 6.400 Kubikmeter Schnittholz an Bord, Marktwert rund 1 Million Euro. Das Holz wollte der finnische Holzkonzern Stora Enso nach Bejaia in Algerien transportieren. Entsprechende Aufträge hat die Reederei mehrfach für Stora Enso ausgeführt.
Direkt vor dieser Fahrt hielt sich die "Arctic Sea" zwei Wochen lang auf der Pregol-Werft im russischen Kaliningrad auf, angeblich zu Reparaturarbeiten. Und die Reise entwickelte sich von Anfang an mysteriös. So fragte die russische Botschaft in Stockholm am 26. Juli bei der schwedischen Reichspolizei an, was deren Beamte denn auf der "Arctic Sea" gesucht hätten. Wie sich herausstellte, hatte der Kapitän bei seiner Reederei einen seltsamen Vorgang gemeldet: Am 24. Juli, früh um 3 Uhr hätte ein motorisiertes Schlauchboot mit zehn schwedischen Polizeibeamten das Schiff in der Ostsee gestoppt, geentert und stundenlang durchsucht.
Die Männer hätten schlechtes Englisch gesprochen, sich als Fahnder auf der Suche nach Schmuggelgut präsentiert, dann aber die Besatzungsmitglieder bedroht, teilweise misshandelt und in einer Kabine eingesperrt. Nach zwölf Stunden hätten die "Polizeibeamten" das Schiff urplötzlich wieder verlassen. Wie sich schnell herausstellte, waren das keine schwedischen Polizeibeamten, und keine schwedische Behörde hatte auch nur die leiseste Ahnung. Die Polizei teilte mit, sie stehe "vor einem Rätsel". Erste Zeitungen titelten "Piraterei in der Ostsee", und die schwedische Justiz vertagte Ermittlungen bis zu einer Befragung der russischen Besatzung, sobald das Schiff seinen algerischen Bestimmungshafen erreicht haben würde.
So herrschte erst einmal Ruhe um die "Arctic Sea" - bis zum 4. August, als sie nicht in Bejaia landete. Wie sich dann herausstellte, hatte sich das Schiff zuletzt am 28. Juli gemeldet, bei der Passage des Ärmelkanals zwischen Frankreich und Großbritannien. Danach verlieren sich die Spuren vollständig.
Am Donnerstag ordnete der russische Präsident Dmitri Medwedjew an, Russlands Marine solle "mit allen Mitteln" im Atlantik nach dem Schiff suchen. Neben zwei Marine-U-Booten und mehreren Überwasserschiffen kommt auch Satellitenüberwachung zum Einsatz.
"Das Schiff befindet sich in der Hand von Piraten", vermutet Wiktor Matwejew, Diektor der Reederei Solchart Management. Aber nicht nur wegen Fehlens von Lösegeldforderungen und überhaupt des gesamten Schiffs klingt dies wenig wahrscheinlich. Und wäre das Schiff gesunken, hätte man vermutlich Spuren gefunden.
"Ich gehe davon aus, dass die Behörden längst wissen, wo das Schiff ist", sagte der Vizechef der russischen Seefahrergewerkschaft, Sergei Portenko, am Freitag der russischen Zeitung Moskowski Komsomolez. Er vermutet, dass die "Arctic Sea" heimlich mit Waffen für ein afrikanisches Land beladen worden ist. Auch Michail Wojtenko, Chefredakteur des Fachdienstes Sovfracht Maritime Bulletin glaubt an die Theorie einer "geheimen Ladung", möglicherweise in Kaliningrad an Bord genommen. Er vermutet eine wie immer geartete "staatliche Beteiligung". Und er sieht Stoff für einen Thriller. Wenigstens darüber dürften sich alle Beteiligten einig sein.
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