: Finanzskandal in der Türkei
Özal-Stellvertreter Erdem zurückgetreten / Sein Bruder hatte mit Skandalunternehmer Horzum Geschäfte gemacht ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
In der Türkei könnte ein mehr und mehr publik werdender Finanzskandal die Regierung Özal in eine Krise führen. Am Mittwoch ist der stellvertretende türkische Ministerpräsident und Staatsminister Kaya Erdem zurückgetreten. Er begründete seinen Rücktritt mit politischen Differenzen zu Ministerpräsident Turgut Özal. In einer Erklärung, die Erdem der halbamtlichen Anatolischen Nachrichtenagentur gab, hieß es entsprechend: Seine Entscheidung sei wegen „tiefgreifender Interpretationsdifferenzen zwischen dem Ministerpräsidenten und mir über Parlamentspolitik und die Kunst des Regierens“ gefallen. Özal hatte den Rücktritt formgemäß „mit Bedauern“ angenommen. Eine Kette von kriminellen Wirtschaftspraktiken, die von der türkischen Presse aufgegriffen wurden, haben den Rücktritt des 61jährigen Politikers, der seine Karriere unter der Obhut von Özal antrat, herbeigeführt.
Am 12.Dezember hatte die auflagenstärkste türkische Tageszeitung 'Hürriyet‘ darüber berichtet, daß Kaya Erdems Bruder gemeinsame Geschäfte mit dem skandalumwitterten Unternehmer Kemal Horzum treibt. Kemal Horzum steht vor Gericht, weil er die staatliche Bank „Emlak Bankasi“ um 170 Milliarden Türkische Pfund (170 Millionen Mark) betrogen haben soll. 'Hürriyet‘ berichtete von dubiosen Schweizer Bankkonten, wo Gelder gewaschen würden. Erdem klagte gegen die Zeitung und verlangte die Entfernung des Vorstandsvorsitzenden der „Emlak Bankasi“, Bülent Semiler, von dessen Amt. Semiler sei der Informant von 'Hürriyet‘ gewesen. Semiler trat zwar im Zuge des Konflikts von seinem Posten zurück, wurde aber von Ministerpräsident Özal zu seinem wirtschaftspolitischen Chefberater ernannt. „Semiler soll weiter den Fall Horzum untersuchen“, so Özal.
Zwei ehemalige Mitglieder des türkischen Geheimdienstes MIT erklärten in der türkischen Presse, daß die Aussage des Staatsministers Erdem, er kenne den angeklagten Unternehmer Horzum nicht, zweifelhaft sei. In Ankara wurde der Rücktritt von Kaya Erdem schon seit längerem erwartet. Er wurde von Özal nicht mehr gedeckt. Sein Erzfeind, der technokratische Banker Semiler, wurde gar für seine Recherchen in der „Horzum„-Affäre belohnt. Erdems Rücktritt war eine Notlösung, denn die sozialdemokratische Opposition fordert eine parlamentarische Untersuchung des Wirtschaftsskandals „Horzum“. Die undurchsichtigen Beziehungen zwischen Bürokraten, Kabinettsmitgliedern und Geheimdienstlern zu kriminellen Unternehmern, die durch falsch deklarierte Exporte vom Staat Subventionen in Milliardenhöhe einkassieren, wird in jedem Fall weiterhin Thema in der türkischen Öffentlichkeit bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen