Finanzmarkt-Vorschriften: Davos uneins über Regulierung
Im Mittelpunkt des Weltwirtschaftsforums steht die Debatte über schärfere Finanzmarkt-Vorschriften. Die große Frage wird offen bleiben: Wie lässt sich die nächste Finanzkrise verhindern?
Beim größten Wirtschaftsmeeting der Welt, dem World Economic Forum (WEF), herrscht eine spezielle Stimmung. Der legendäre "Geist von Davos" besteht darin, dass jeder mit jedem redet. So lässt sich erahnen, wie die Stimmung in der Wirtschaft jenseits offizieller Presseerklärungen tatsächlich aussieht. "Angst spüre ich hier nicht, aber erhebliche Sorgen angesichts der Kreditkrise in den USA", sagt der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach (SPD).
Gut 2.500 Spitzenmanager sowie 140 Regierungschefs und Minister sind dieses Jahr angereist. Auf 1.570 Meter Höhe haben sie bis Sonntag fünf Tage die Lage der Weltpolitik und Weltwirtschaft diskutiert. Dabei ist klar geworden: Um die globale Ökonomie ist es 2008 nicht zum Besten bestellt. Erstens wird die Kreditkrise in den USA die Entwicklung der gesamten Weltwirtschaft abbremsen. Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz rechnen statt mit 5 Prozent globalen Wachstums nur noch mit rund 3 Prozent. Und zweitens herrscht keine Einigkeit darüber, wie man auf die neuen Probleme am Finanzmarkt reagieren soll.
Selbst für Fachleute ist es erstaunlich, wie schnell die Turbulenzen um sich griffen. "Das Ausmaß der Krise haben wir nicht geahnt", sagt Staatssekretär Pfaffenbach, der Berater der Bundeskanzlerin für weltwirtschaftliche Fragen. Damit meine er nicht nur die Politik: "Viele Banken wussten offenbar nicht, wie die Produkte, die sie kauften, beschaffen waren."
Die Probleme begannen, als US-Banken privaten Immobilienkäufern Kredite zur Verfügung stellten, ohne ausreichende Sicherheiten zu verlangen. Diese Art von Darlehen bezeichnen Fachleute in Davos scherzhaft als "Ninja-Kredite": no income, no job, no assets. Weil absehbar war, dass viele ihre Kredite nicht würden zurückzahlen können, schnürten die Banken "schlechte" mit "guten" Krediten zusammen und verkauften sie im Paket weiter.
Die Verluste und Abschreibungen der US-Banken werden auf mindestens 150 Milliarden Dollar beziffert. Dass es in Deutschland bei den bekannten Verlusten der Sächsischen Landesbank, der WestLB und der Landesbank Baden-Württemberg bleibt, glauben beim WEF die wenigsten. Man nimmt an, dass auch die Deutsche Bank, Commerzbank und Allianz bald Farbe bekennen müssen.
"Die Herausforderung besteht darin, ein Übergreifen der Krise auf die Realwirtschaft zu verhindern", sagt Pfaffenbach. Die meisten Wirtschaftsvertreter halten das noch für möglich.
Die schwierigere Frage aber ist: Wie kann man eine ähnliche Krise in Zukunft verhindern? Mit einer besseren Regulierung des internationalen Finanzsystems? Nobelpreisträger Stiglitz beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja und gibt damit die Richtung der Diskussion vor.
Die Bereitschaft, über eine wirksamere Aufsicht über die Finanzmärkte nachzudenken, ist freilich sehr unterschiedlich ausgeprägt. "Wir müssen viele kritische Fragen stellen, auch an die Rating-Agenturen", sagt Pfaffenbach. Manager gerade großer US-Konzerne sehen dagegen keine Notwendigkeit, schärfere Vorschriften einzuführen. Stellvertretend erklärt James Dimon, Chef der Bank JP Morgan: "Die Märkte können sich selbst regulieren." Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Zentralbank, bediente beide Richtungen. Er sagte, "die fehlende Transparenz" im Bankensystem sei "eine Ursache der Krise". "Die Regulierung muss dauernd verbessert werden", so Trichet. Aber Verluste in der Marktwirtschaft seien auch normal: "Wenn sich wirtschaftliche Risiken nicht materialisieren würden, wären wir in der Sowjetunion."
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