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Finanzkrise in EuropaUngarn das neue Griechenland?

Die jüngsten Abstürze des Euro wurden durch dramatische Aussagen aus Ungarn ausgelöst. Jetzt bemüht sich die Regierung in Budapest um Schadensbegrenzung.

Kleines Land, breite Wirkung: Ungarns Stabschef Varga (rechts) verunsichert die Märkte. Bild: reuters

Mit einem Kurs von unter 1,19 Dollar hat der Euro am Montag den tiefsten Stand seit vier Jahren erreicht. Losgetreten wurde die jüngste Schockwelle durch die Finanzmärkte letzten Donnerstag vom stellvertretenden Chef der ungarischen Regierungspartei Fidesz, Lajos Kósa. "Ungarn hat nur eine kleine Chance, dem Schicksal Griechenlands zu entrinnen", hatte er verkündet. Das Budgetdefizit werde doppelt so hoch ausfallen wie geplant, die Beamtengehälter im Juni würde man nicht zur Gänze auszahlen können. Kurz: Ungarn befinde sich im Notstand.

Dass der Forint daraufhin gegenüber dem Euro 6 Prozent verlor, hatte der Politiker nicht einkalkuliert - und auch nicht den Rattenschwanz an Konsequenzen, mit dem die internationale Finanzwelt die Sorgenkinder innerhalb weniger Stunden bestraft: Zinsen auf Staatsanleihen schnellten in die Höhe, Kreditausfallversicherungen wurden teurer und ungarische Bankaktien begannen abzustürzen.

Verschlimmert wurde die Lage, als Kósa zudem den IWF attackierte, der Ende 2008 gemeinsam mit der EU mit einem Rettungspaket von 20 Milliarden Euro den ungarischen Staatsbankrott abgewendet hatte. Die harten Auflagen seien nicht zielführend gewesen, so der Fidesz-Politiker. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU "uns nicht untergehen lassen wird". Die von Ungarn getroffenen Maßnahmen würden "von Europa abgesichert". Mit dieser Prognose kompromittierte Kósa die Eurozone. Obwohl Ungarn von der Einführung des Euro noch weit entfernt ist, kam die europäische Währung neuerlich ins Rutschen. Das Ziel, bis Jahresende einen Termin für den Beitritt zur Eurozone zu bekommen, dürfte jetzt stillschweigend begraben werden.

Stabschef Mihály Varga legte in einem Fernsehinterview noch nach. Eine unabhängige Kommission gehe davon aus, dass das Haushaltsdefizit bis zum Jahresende bei 7 bis 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen werde. Der Vorgängerregierung unterstellte er "griechische Buchführung" - was der ehemalige Finanzminister Péter Oszkó empört zurückwies.

Was Lajos Kósa mit seinen alarmistischen Ankündigungen bezweckte, ist in der ungarischen Presse Gegenstand von Mutmaßungen. Laut jüngsten Zahlen, die die Nationalbank gerade vorgelegt hat, ist Ungarn von Zahlungsunfähigkeit weit entfernt. Das Defizit wurde zwar von 3,8 auf 4,5 Prozent nach oben korrigiert, doch im europäischen Vergleich liegt man damit gar nicht so schlecht. Auch Inflation und Wirtschaftswachstum bewegen sich im Rahmen. Das BIP ist im ersten Quartal 2010 gegenüber dem letzten Vierteljahr 2009 um 0,9 Prozent gestiegen.

Kósas Botschaft könnte also an die Bevölkerung gerichtet sein, die darauf vorbereitet werden soll, dass die vollmundigen Wahlversprechen von Steuersenkung und anderen Wohltaten nicht zu halten sein werden. Gleichzeitig macht man die sozialistische Vorgängerregierung mit der Meldung, es würden immer neue "Leichen im Keller" gefunden, für alle bevorstehenden Sparmaßnahmen verantwortlich.

Nach den unbedachten Äußerungen dürfte Ungarn nach Ansicht von Experten Monate brauchen, um internationales Vertrauen zurückzuerobern. Premier Viktor Orbán muss jetzt gleichzeitig die Finanzmärkte beruhigen und den Richtungsstreit im eigenen Kabinett schlichten. Gleichzeitig muss er sich überlegen, wie er trotz leerer Kassen die Steuersenkung finanzieren kann. Denn er selbst will an diesem Wahlversprechen festhalten.

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